Von der Spiel- zur Handwerkerschar
Der Herbst bricht an. Das Wetter wird rauer. Regen zieht herauf. Zeit für die Neue Schar, ein Winterquartier zu suchen. In der Jugendherberge auf der Leuchtenburg findet sie Quartier. Das hört sich einfach an, war es aber nicht. Denn in den Städten herrschte akute Wohnungsnot. Kahler Porzellanarbeiter protestierten gegen den Zuzug, aber "infolge der allgemeinen Begeisterung jedoch vergeblich" (Der Messias). Der Bänkelsang "Muckiade", zu singen nach der Melodie "Sabinchen war ein Frauenzimmer", hält den Moment des Einzugs der Neuen Schar fest: DA
KAM EINMAL MIT BLAUER FAHNE Im letzten Sommer verweilte die Schar schon einmal hier in Seitenroda, einem kleinen Dorf, das unterhalb der Burg und unweit von der thüringischen Kleinstadt Kahla liegt. Traf man vielleicht bei dieser Gelegenheit schon Absprachen? Sicher überliefert ist hingegen, dass sich Harry Wilde als Leiter des Landesjugendringes Thüringen bei Ministerpräsidenten August Frölich (1877-1966) dafür einsetzte, dass die Gruppe im Torbau der Burganlage ab Anfang November 1920 Unterkunft nehmen darf. Als Fürsprecher traten weiterhin Eugen Diederichs aus Jena, Verleger und Mentor der deutschen Jugendbewegung, und Pfarrer Emil Fuchs aus Eisenach auf. Erst am 8. August 1920 übergab die Sachsen-Altenburgische Regierung dieses Haus mit zwanzig Schlafplätzen für Jungen und zehn für Mädchen an den Zweigausschuss für deutsche Jugendherbergen (vgl. Haufschild 14). Schliesslich ist die Neue Schar mit Einverständnis des Vorstandes der Jugendherbergen Deutschlands in die Jugendherberge aufgenommen worden, um ihr Gelegenheit zu geben, den von ihr vertretenen Gemeinschaftsgedanken einen Winter vorzugsweise durchzuführen. Sie wandelte sich von der Spiel- zur Handwerkerschar. Eine grosse Chance, um die bereits vor dem Krieg entstandene Idee von einer Handwerker-Siedlungsgemeinschaft Wirklichkeit werden zu lassen.
Ja, ja, interessant. Aber geht es nicht ein wenig spannender? Gewiss, wenn man die Geschichte wie die Tages-Post (1921) aus Linz erzählt, liesst es sich dann so:
Nur, - es war etwas anders. Jedenfalls wenn man zugrunde legt, was fünfzig Jahre später das Mitglied der Neuen Schar Hans Pluta darlegt: "Dort [auf der Leuchtenburg] hatte sich ein Mädchen aus Erfurt mit Muck eingelassen, in dem Glauben, dass er sie heiraten würde. Da Muck nicht die Absicht hatte, wandelte sich bei ihr die grosse Liebe in Hass und sie posaunte die ganze Geschichte in grossem Maßstab aus." Darauf lauerten die sensationshungrigen Zeitungschreiber (Pluta). Nur wer sind die Strippenzieher? Wer hatte ein Interesse am skandalieren? Das wird noch zu klären sein.
Morgens essen sie gebrannte Mehlsuppe, mittags stehen Kartoffeln und Gemüse auf dem Tisch. Am Abend gibt es Brot und Äpfel. Ein Leben mit dürftiger Nahrung und in bescheidener Kleidung. Die Mädchen besorgen die Küche und schneidern. Die Burschen fertigen Schuhe, tischlern, drehen Leuchter und arbeiten beim Bauern in der Umgebung. Muck erzählt Ende 1921, dass die Holzarbeiten über Dührerhäuser, Vertriebsstellen und Freunde der jungen Gemeinde in Thüringen verkauft wurden. "Die Mädchen haben das Haus geführt und durch Näharbeiten mit für das tägliche Brot gesorgt. Alles wurde durch eine Kasse verwaltet." Wohl deshalb bemerkt Pfarrer Ritzhaupt (Erfurt):
"Ich bin überzeugt", prophezeit 1921 Eugen Diederichs dem Kultusminister Karl Mehnert (1872-1961) von Sachsen-Altenburg, "um diese Jugendherberge wird sich später ein Zauber der Romantik spinnen. Es wird noch ein großer Dichter kommen, der all das, was sich an das Leben dieser Gemeinschaft [der Neuen Schar] spinnt, gestalten wird, zu einem wuchtigen Bild von dem Ringen unserer Zeit um das Neue." Oder es beugt sich vielleicht ein Filmemacher über die Geschichte der Neuen Schar, um sie für ein breites Publikum zu erzählen?
Nebenbei richtet die Neue Schar die Jugendherberge her. Im Archiv findet sich eine von Muck-Lamberty am 18. Februar 1921 auf der Leuchtenburg ausgestellte Rechnung über 720 Reichsmark. Davon werden 490,00 Reichsmark für die Unterkunft in Abzug gebracht. Den Restbetrag erhebt die Gruppe für Leistungen, die sie bei der Instandsetzung der Herberge erbrachte. "Wer sich aber überzeugen will von ihrem Fleisse," argumentiert das Flugblatt der Kahlaer Jugend vom März 1921, "der schaue sich die Jugendherberge nur jetzt einmal an." Karl Wilker (1880-1985) besucht im Januar 1921 die Neue Schar auf der Leuchtenburg. Kurz darauf veröffentlicht er in Junge Menschen (Hamburg) seinen Bericht: "Da bin ich mit
dem Heiner heraufgestiegen durch den Winterabend zur Burg. Dicker Rauhreif
bog alle Äste nieder. Unter uns funkelten die tausend kleinen Lichter
der Talmenschen. Oben leuchtet das Burgenfensterlein. In der Werkstatt
ist noch Licht sagte die Friedel
. Ich sehe hier den Anfang unseres neuen Gemeinschaftslebens. . " (JM 1921, 2, 28)
Zunächst war die Schar auf der Burg herzlich willkommen.
jubiliert W. Müncker am 12. November 1920 gegenüber Herrn Albertti. Der Geschäftsführer des Hauptausschusses für die Deutschen Jugendherbergen aus Hilbach (Westfalen) betont:
Bald ändert sich die Stimmung. Dunkelmänner bringen die Neue Schar in Verruf. In der Dezember-Ausgabe von 1920 enthüllt Junge Menschen (JM) unter der Überschrift
Die Quelle ist wahrscheinlich die Firma Schweder & Hertzsch in Rudolstadt (Thüringen), die die Deutsche Journalpost herausgibt. Eine Art Nachrichtenagentur, aus der mehrere hunderte Zeitungen als zahlende Abonnenten Informationen und Kommentare nachdrucken. Über die redaktionelle Scherenarbeit finden sie den Weg in das Feuilleton vieler Zeitungen. "Diese Korrespondenz hat Hanebüchenes über die Neue Schar (....) verbreitet." Sie hat sie auf das schlimmste verunglimpft und falsche Nachrichten über sie gestreut. Aber eine Fehlinformation übertrifft alle anderen: Angeblich ist die Gruppe an der Ermordung der Frau von Admiral Reinhard Scheer am 8. Oktober 1920 beteiligt gewesen. Junge Menschen (279) kontert Ende Dezember 1920:
Infolge jener Korrespondenz-Weisheit erscheint auf der Burg bald eine Untersuchungskommission und beschliesst:
Aber die Stimme des Neuen Jugendwillens protestiert "gegen diese neue Vergewaltigung!" Eugen Diederichs setzt sich bei den zuständigen Stellen der altenburgischen Regierung für den Verbleib der Neuen Schar auf der Leuchtenburg ein. Der Verleger genoss in der Jugendbewegung hohes Ansehen. Als Sprecher des Sera-Kreises begrüssten ihn am 5. und 6. Juni 1913 in Jena die Teilnehmer an der Beratung zur Vorbereitung des Freideutschen Jugendtreffens auf dem Hohen Meissner mit trampeln. Schliesslich darf die Gruppe dann doch bleiben. Die Akten des Staats-Ministeriums zu Altenburg sprechen von "Beschwerden eines Teils der Kahlaer Arbeiterjugend". Allenfalls ist das eine Quelle des Konflikts. Sicher ist hingegen, dass Muck und die Schar mit dem Wirt der Gaststätte von der Leuchtenburg über Kreuz lagen. Gleich nach Weggang der Schar von der Burg übernimmt er die Räume. Ein Schuft, wer Arges dabei denkt? Jedenfalls begann damit ein weiterer Skandal um die Jugendherberge, der erst 1923 sein Ende fand. Viele der moralischen Vorwürfe", ermittelte Kurt Haufschild (1975, 95), "gründeten sich auf Verleumdung, so berichtete der Bürgermeister der Stadt Kahla an die Regierung in Weimar über den Aufenthalt der `Neuen Schar´ auf der Leuchtenburg: `Viele gingen einer geregelten Arbeit nach und fanden den Zweck des Daseins im einfachen, wenn auch recht dürftigen Lebensgenuss, lagerten und tanzten in der Nähe der Leuchtenburg auf Waldwiesen im nackendem Zustand und wurden von Spaziergängern ein Gegenstand des Anstosses."
Das
Ketzergericht (Eugen Diederichs) Oder: Eine treffliche und tiefe Kritik der Persönlichkeit Mucks übt Lisa Tetzner 1923 Im Land der Industrie zwischen Rhein und Ruhr (123): "Seine Zucht, die er ausübte, ist gut: Enthalte dich, faste, reinige dich, um deinen Geist zu stärken. Askese in allen Dingen des Lebens, um die Kraft zu haben. Muck selber jedoch, der diese Gesetze stellt, hebt sich oft ausserhalb ihrer Formen. Alle fühlen das. Es ist ein stummer, kaum ausgesprochener Kampf dagegen. Und sie klagen auch ihn an. Sie zeitigen ihn dieser Schwächen und Eitelkeiten." Denn:
"Muck fehlt das Vermögen zu klarer Scheidung zwischen dem," so schien es Pfarrer Emil Fuchs (Eisenach), "was ihn aus Sinnlichkeit heraus, und dem, was ihn aus edler Leidenschaft bewegt." Adam Ritzhaupt (Erfurt) wirft Muck gefährliche Liebeslust und Romantik vor. Damit nähern wir uns dem Epizentrum des Bebens, dass die Gruppe im Februar 1921 auf der Leuchtenburg erschüttert. Es lässt sich mit Sexualität, freie Liebe, Ehe und Geschlechterfrage umschreiben. "Einmal im Leben ein starkes inneres Erlebnis," sinniert Schriftsteller Gustav Schröer 1921 in der Eisenacher Zeitung zum Fall Muck und meint: "Das reicht in den meisten Fällen für den normalen Menschen aus." Es war nun einmal so, Max Pechsteins Liegender Akt mit Katze (1909) konnte die sexuellen Bedürfnisse von Muck nicht befriedigen. Das bereitet Hanna, die Muck - wie alle schon lange wissen - liebt und sich Vorwürfe macht, weil sie ihm nicht helfen kann, grosse Sorgen. Sie erahnt was daraus folgt, fürchtet den Umsturz der öffentlichen Meinung. Muck ist
Ein freies Volk basiert auf der gesunden Beziehung der Geschlechter, verkündete 1918 der Umtriebige im Flugblatt Deutsche Volksgemeinschaft, Liebe vorausgesetzt, Irrungen und Wirrungen eingeschlossen. Und da passiert es: Käthe Kühl hatte "in den letzten Wochen in mehreren Städten Thüringens vor Wandervögeln öffentlich gegen Muck die Beschuldigung vorgebracht,
Sie wendet sich an Pfarrer Ritzhaupt in Erfurt. Gertrud Prellwitz erscheint sie in Mein Bekenntnis zu Muck-Lamberty (1921) als eine der drei Frauen mit denen Muck nacheinander in Verkehr gestanden hat. "Da jedes der Mädchen", illustriert Harry Wilde (1965, 127) vielleicht etwas zu lax die Situation, "die einzige sein wollte, gab es einen schrecklichen Sturm. Muck hatte ein Tabu verletzt, dass liess sich nicht bestreiten, aber zu dem, was man ihm vorwarf, gehörten zwei. Tatsächlich waren die Mädchen ihm nachgelaufen, vor allem jene Erfurterin, die den Skandal auslöste, wenn er sich auch ihren Werbungen gegenüber nicht gerade taub gestellt haben dürfte."
Das Mädchen aus Erfurt, wie es oft rücksichtsvoll genannt wird, fordert in einem Brief (oder war es eine Anzeige? - das Wort fiel einmal) an die altenburgische Staatsregierung den Verweis von der Burg. Als Eugen Diederichs davon erfährt, setzt er am 11. Februar 1921 einen Brief an die für Jugendherberge zuständige Landesbehörde auf. Er gibt zu bedenken: "Es sind alles Arbeitslose, die da oben [auf der Leuchtenburg] versammelt sind, und wenn man sie auf die Strasse setzt, so ist niemand damit geholfen." Indessen, die Sache muss geklärt werden. Es kommt der harte Tag (Tetzner). "Ich komme gerade von einem grossen, mich wie eine Drama bewegendes Erlebnis", teilt sich Eugen Diederichs am 11. Februar 1920 An eine junge Malerin mit. Und dann berichtet er ausführlich, was sich auf der Leuchtenburg zugetragen hat. In einem engen, holzgetäfelten Zimmer auf der Leuchtenburg finden sie sich zusammen. Zunächst vernehmen der Staatsminister und Polizeileutnant Muck in rein geschäftsmäßiger Weise. "Ohne sich zu beugen stand die Schar hinter ihrem Führer und wies jeden Klatsch, der sich in die Angaben geschlichen hatte zurück. Was bestehen blieb war einfach. Die blonde Hanna trug ein Kind von ihm, aus dem Willen zur Mutterschaft, weil sie ihn seit Jahren liebte und für ihn die Frau war, die ihn am höchsten zur Tat beschwingte. Sie liebte ihn schon in jener Zeit, als er noch ihrer Freundin gehörte, die Mann und Kind um ihn zu verlassen hatte und jetzt ein Kind von ihm besass. Aber auch die Klägerin hatte ihm nun ihre Liebe geschenkt." (Tetzner 1923,128) Ein Gendarm tat seine Pflicht, nahm alles zu Protokoll. Schweigend wie in einem Gerichtssaal sass die Neue Schar auf den niedrigen Holzbänken um den Tisch und wartete darauf dass Anklage erhoben wird. "Am Eingang standen Pfarrer, zur Seite die anderen. Vor dem Fensterbrett sass die, die ihn verriet. Ihr Auge war wie erloschen auf die Schar gerichtet". (Tetzner) Eugen Diederichs aus Jena war heraufgekommen. Ebenso ein paar Jenenser Studenten. Die drei Pastoren, die in der Mitte saßen, waren in eine schwierige Lage geraten, weil sie ihre Kirchen der Neuen Schar geöffnet hatten. Waren sie etwa auf einen Narren oder Schwindler hereingefallen? Wie stehen sie denn jetzt vor ihrer Gemeinde da? Zugegen ein Minister der Regierung Sachsen-Altenburg und ein Polizeioffizier. "Vor dem Fensterbrett sass die [gemeint ist Käthe Kühl], die ihn verriet." Anwesend ebenfalls Lisa Tetzner. Gustav Schröer, der in der Eisenacher Zeitung mit moralisch expandierenden Urteilen schnell zur Hand, war nicht gekommen.
teilt Eugen Diederichs am nächsten Tag im Brief an eine junge Malerin mit. Es folgt der nächste Akt, ein "Inquisitionsgericht von drei Pastoren" (Diederichs), "die sich verantwortlich fühlten, weil sie X. [=Muck] ihre Kirche Predigt geöffnet hatten und nun ihre Gemeinde Rechenschaft schuldig zu sein glaubten." Es sprach ein Pfarrer, wahrscheinlich Adam Ritzhaupt aus Erfurt:
Neben ihm zwei Amtsbrüder. "Muck stand selbstbewusst auf." Er fühlte sich nicht als Sünder. Der eine Pfarrer fragte, ob er nicht Kants Sittengesetz kenne. "Muck verteidigte sich nicht. Er sprach nur von dem Recht jedes Einzelnen, nach seinem Wesen zu leben. Von den Bruch, der durch das Überlieferte geht. Von der Anfechtbarkeit der bürgerlichen Moral." "Seine Rede klang stolz und ehrlich." (Tetzner 1923, 129f.) Die zwei Pfarrer stellte dies nicht zufrieden. Sie fürchteten, die Jugend wollte sich von der Überlieferung frei machen. "Es wurde deutlich," bemerkt Emil Fuchs (Eisenach) dazu (55), "dass Muck in der Frage des Sexuellen Auffassungen vertrat und bestätigte, die wir anderen nur als ein Vergessen der hier unbedingt notwendigen Verantwortung auffassen konnten." Muck schwieg. Schliesslich sprang einer seiner Jünger auf und sprach:
Zu Muck gewandt:
Er wich aus. Ausflüchte. "Er bekannte sich nicht klar und rückhaltlos zu der Hemmungslosigkeit seines Wesens " (Tetzner). Die Verhandlung nimmt eine unerwartete Wendung. Die Jenaer Studenten, gereizt durch das "Pharisäertum der Ankläger", schlugen sich auf die Seite von Muck". Mit Aussprüchen Luthers, Meister Eckhardts und Nietzsche kamen sie ihn zur Hilfe. "Sie stellten die Freiheit des Christenmenschen, der bürgerlichen Moral gegenüber, die ihnen erstarrt und leer erschien. Sie waren Mucks warmherzige Verteidiger, die ihn liebten und ihm helfen wollten." (Tetzner) Es fallen (nach Diederichs) die historischen Worte:
"Warum kommt ihr, anstatt zu helfen, nur um zu verdammen", rief einer von der Schar zu den Geistlichen. Aus dem Hintergrund trat ein breiter, kräftiger Mann, der bisher geschwiegen hatte, der ruhig sagte: Lassen wir es genug sein. "Wir wollen nicht pharisäisch in unserem Tun werden. Was Muck fehlt, ist die Verantwortung gegenüber seinem Werke." (Tetzner) Darauf tritt ein Pfarrer hervor, gibt Muck die Hand und sagt zu ihm:
Die Zusammenkunft löst sich auf, einer nach dem andern verlässt die Stube. Dann spricht die Gemeinschaft mit der, die sie durch ihren Verrat auseinandertrieb. Käthe Kühl hatte mit ihrem Brief an die Landesregierung vielen Mitgliedern der Gruppe, die mit der Liebelei ihres Anführers nichts zu schaffen hatten, in ernste Schwierigkeiten gebracht. "Als die Vernehmung Mucks anbrach", beobachtet Lisa Tetzner (1923), "wusste es schon die ganze Schar, denn als sie ihn angezeigt hatte, kam sie zurück und gestand freimütig. So hielt man auf der Leuchtenburg nicht nur über Muck moralisch Gericht. Es war ebenso ein Urteil über den Verrat eines Gruppenmitgliedes zu finden. Allein Diederichs durfte dem als Fremder beiwohnen. Kein Vorwurf kam an sie über die Lippen. Nur ein Verstehenwollen!
Eugen Diederichs unternimmt mit der jungen Frau einen kleinen Spaziergang durch den Hof, um, wie er es ausdrückt, "ihr Achtung beizubringen vor der Aufgabe des Mannes". Abendbrotzeit. Zuvor spricht Eugen Diederich mit Muck unter vier Augen. Sie redeten aneinander vorbei. Der Verleger gewinnt die Überzeugung, dass "er nie zur Reife eines Mannes kommen wird", weil er ein "typischer Schwärmer". Derweil deckt die Gruppe den Tisch ein. Käthe hilft. Niemand wies sie fort, "und demütig saßen sie alle in Brüderlichkeit um die viereckige Tafel, der ein hölzerner Leuchter spärlich Licht gab." Bei der gemeinsamen Abendtafel gab es Apfel und Brot. Alle schweigen. Dazwischen der unangestrengte und lockere Wortschwall eines kleinen anwesenden Kindes.
Nachforschungen, so versichert die Schriftleitung vom Blatt der deutschen Jugend später, bestätigten die Anklage gegen Muck. (JM 21, 4, 59) Obwohl
gibt Harry Wilde (1899-1978) am 1. Oktober 1971 im Brief an Werner Kindt zu bedenken. "Nicht er warf sich den Mädchen an den Hals, sondern sie ihm. Ich versuchte auch den Eklat zu verhindern. Es war ein Mädchen aus Erfurt, die er, die besser ihn verführte und die dann aus Eifersucht zu Pfarrer Fuchs in Erfurt lief und berichtete." [Pfarrer Fuchs lebte in Eisenach. Gemeint ist wahrscheinlich Pfarrer Adam Ritzhaupt.] Das beurteilt Pfarrer Adam Ritzhaupt in der postum zur Leuchtenburg-Affäre erschienenen Schrift Die Neue Schar in Thüringen (1921) völlig anders. Für ihn liegt die Verantwortung und Schuld allein bei Muck, weshalb der am 24. April 1921 in einem Brief tief enttäuscht erwidert:
Er fragt:
Und nur schwer kann er seine Entrüstung verbergen: "Ich will Euch nur bitten, doch noch den ganzen Einfluss dahingehend geltend zu machen, dass die Unwahrheit aus Euerer Schrift bleibt. Ich kann mir nicht denken, dass es Euch als Gottessucher und Pfarrer darum zu tun ist, mich und mein Schaffen mit Hilfe der Lüge zu vernichten." So schenkte er dem Erfurter Pfarrer "klaren Wein" ein. Drei Tage später wendet er sich an den Verleger der Schrift, Eugen Diederichs in Jena. Ihn stört, dass er sein Verhältnis zu dem Erfurter Mädchen an die Öffentlichkeit zerrte. Ritzhaupt hätte, sich an Hanne und Trude wenden können, ja müssen, um zu erfahren, wie es wirklich war. Dies ist "eine Unterlassungssünde von großer Tragweite und Bedeutung". Da will man ihm beitreten. Nach der Veröffentlichung der Schrift Die Neue Schar in Thüringen (1921) von Adam Ritzhaupt, zerbricht das gute Verhältnis zu Eugen Diederichs. Die Staatsregierung von Sachsen-Altenburg fordert den Anführer der Werkschar am 12. Februar 1920 schriftlich auf, die Leuchtenburg umgehend zu verlassen, worauf der am selben Tag antwortet:
Der Obmann der Jugendherberge untersagt ab dem 17. Februar 1921 den jungen Leuten den Aufenthalt auf der Leuchtenburg. Dazu teilt das Naumburger Tageblatt, wahrscheinlich nach einer Textvorlage von Muck-Lamberty, ein Jahr später (Kahla, 28.4.1922) mit:
Obmann Albert Kretschmann antwortet darauf:
Muck erlag, stellt Lisa Tetzner 1923 mit ironischem Beigeschmack fest, dem Weib. Nicht nur das. Auch die
warf man ihm vor die Beine. Und er stolperte. Was hätte aus der Neuen Schar vielleicht noch werden können?
Am Donnerstag, den 17. Februar 1921 verlässt die Neue Schar die Leuchtenburg. "Jetzt ziehen die Faulenzer ab", riefen ihnen einige auf dem Weg zum Bahnhof hinterher. Die ihn kennenlernten, wissen es besser und verteilen ein Flugblatt. "Ihr Kahlaer": "Mit Freuden denken wir an die schönen Gemeindeabende, die wir mit den Leuten der Schar verlebten, und an den bunten Sommer, den sie uns brachten. Wir stehen zu ihnen und werden bemüht sein, dass was sie uns hinterlassen haben, in uns zu pflegen, ja über sie hinauszuwachsen zu dem, was sie uns lehrten:
Vorübergehend kommt Muck bei Doktor Johannes Otte in Jena unter. Den Sündenfall gestaltet 1921 die Stadt Kahla auf ihren Notgeld mit künstlerischen Motiven nach.
Das Ketzergericht war abgehalten. Lisa Tetzner reist mit der Eisenbahn zurück nach Westfalen. Ihr Blick aus dem Fenster des Abteils gerichtet, füllt bald ein unvergessliches Bild, dass sie 1923 Im Lande der Industrie zwischen Rhein und Ruhr (133) so nachzeichnet:
Kritik. Tollereien. Lügen. nach oben Nach dem Ketzergericht im Februar 1921 bleibt Eugen Diederichs noch für eine Nacht auf der Leuchtenburg. Vor dem Einschlafen grübelt er über der Frage, "was würde ich tun, wenn ich die Angelegenheit zu lösen hätte, menschlich und staatsverantwortlich. Menschlich würde ich sagen: Sexuelle Dinge, das heisst die seelischen Schwingungen zwischen den beiden Geschlechtern, gehen den Staat überhaupt nichts an, sie sind völlig Privatsache." Tags darauf teilt er dies per Brief Sr. Exzellenz Kultusminister Mehnert in Altenburg mit. So könnte dann die ganze Chose frühzeitig in den Abgrund der Bedeutungslosigkeit donnern. Fürwahr, es kam anders. Junge Menschen (Hamburg), Blatt der deutschen Jugend - Stimme des neuen Jugendwillens, überbringt im Februar-Heft 1921 ihren Lesern die Tataren-Meldung:
Wohl attestiert die Schriftleitung der Neuen Schar, dass sie die Probe auf das neue Gemeinschaftsleben bestanden. Doch Muck hat "mit der ihm eigenen dämonischen Gewalt mehrere Mädchen so in seine Gewalt gezwungen, dass der Verkehr mit ihnen in drei Fällen nicht ohne Folgen geblieben ist." Wie ein Blitz schlug die Kunde von seinem Sturz ein. Noch 1976 ist Otto Rudolf Wiemer gegenwärtig: "Es mag Mitte Februar oder März [1921] gewesen sein, da ging die Nachricht von Mund zu Mund, dass Muck-Lamberty samt seiner neuen Schar von der Leuchtenburg verwiesen worden sei." Einige können sich jetzt nicht schnell von Muck distanzieren. Etwa der Erfurter Jungendring, der sich gleich im Februar 1921 genötigt sieht mitzuteilen: "Er, auch die ihm angeschlossene Erfurter `Neue Schar´ hat jegliche Verbindung zu Muck-Lamberty abgebrochen und seinen Mitgliedern untersagt, Beziehungen zu diesen zu unterhalten, sofern sie aus der Gemeinschaft nicht auszuscheiden wünschen." "Muck-Lamberty, der Thüringens Jugend zu neuer Lebensgestaltung aufrief", definiert das Ereignis im April 1921 Pfarrer Emil Fuchs in der Zeitschrift Kunst- und Kulturwart im Sinne eines Eisenbahn-Unfalls, "ist entgleist." Ein Unfall? In gewisser Hinsicht schon. Wenn man nur wollte, dann konnte man ihn beheben. Doch viele wollten nicht ..... Die Neue Schar, meldet der Vorwärts (SPD) am 17. Februar 1921, "hat sich von ihrem Führer Muck-Lamberty losgesagt." Aber nicht alle sehen einen Grund "in das Entrüstungsgeschrei der bürgerlichen Jugendbewegung mit einzustimmen." Eben, für Bruno Eckardt ist die Ausweisung von der Leuchtenburg kein Grund zur Verzweiflung. Umsichtiger als viele andere erklärt er im April 1921 in Junge Menschen (1921, 8, 123) Zum Fall Muck:
Anerkennswert ist wie sich Eugen Diederichs (Jena) in die Debatte einbringt. In
Junge Menschen 1921, Heft 8, erweitert er den Horizont wesentlich und lenkt die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf das Verhältnis der Generationen:
Indes zieht der Leuchtenburg-Skandal immer weitere Kreise. Die Freie(n) Presse (Berlin) textet, was noch harmlos, am 10. März 1921: "Der Heilige Muck von der Leuchtenburg". Schärfer geht die Linzer Tages-Post zur Sache: Es ist noch nicht ausgemacht, wann die "geistige Massenseuche erlöschen wird." "Sie ist uns", klagt hier im März 1921 Doktor Alouis Oberhummer, "ein Beweis des Tiefstandes der deutschen Moral". Die thüringische Presse, referiert im März 1922 das Neue(s) Wiener Journal, nahm mit Professor Friedrich Lienhard (1865-1929) den Kampf gegen Muck auf. Der ehemalige Chefredakteur der antisemitischen Monatsschrift Das zwanzigste Jahrhundert, Blätter für deutsche Art und Wohlfahrt, unterrichtet am 28. Februar 1921 das Publikum der Berliner Zeitung: "Eine Jugendbewegung ist zusammengebrochen". Ein anderer Akteur der Anti-Muck-Kampagne in Thüringen ist der Schriftsteller und Bezirksjugendpfleger Gustav Schröer (1876-1949). In der Eisenacher Zeitung vom 15. Februar 1921 bezeichnet er Muck glattweg als Schwindler und warnt: "Die Jugend verkenne nicht, dass Schwärmerei und grosse Worte dazu führen, dass man sich selber belügt." Auf Ablehnung stiess Muck ebenfalls bei Medizinalrat Doktor Wedemann (Eisenach) und Studienrat Becker (Erfurt). Lienhard übernimmt aber offenbar den grössten Part in der Kampagne. Aber zunächst veröfntlichet er unter den Namen "Lynkeus" im August 1920 in der Freien Presse drei freundlich-sachliche und ohne ideologisches Brimborium versehene Artikel. Goethe nannte im Faust II einen Türmer Lynkeus. Friedrich Lienhard gibt seit 1920 die Monatszeitschrift Der Türmer heraus, die antirepublikanisch ausgrichtet ist, eine völkisch-deutschnationale Heimatkunst und Blut-und-Boden-Mystik propagiert. Näher am Skandal als Junge Menschen (Hamburg) oder der Vorwärts (Berlin), nämlich nur 23 Kilometer entfernt, arbeitet die Redaktion des Jenaer Volksblatts. Ganz ähnlich wie Junge Menschen informiert sie am 15. Februar 1921 ihre Leser über das Ereignis und wirft Muck vor: "Seine Auffassung scheidet sich grundsätzlich durch Mangel an Verantwortlichkeit gegenüber den Folgen und den Auffassungen der meisten Leute." Am Tag darauf erhält in derselben Zeitung ein Muckspezialist mit dem Kürzel "S & H" unter der Überschrift
das Wort. Sofort purzeln die Vorwürfe: komfortables Winterquartier, Landstreichertum, Tanz-Terror, reich gefüllte Geldsäcke, freie Liebe und von Dirnen umgeben. Zum Teil sind es eindeutig falsche und zum anderen Teil ungenaue Informationen über die Ereignisse auf der Leuchtenburg. "Was damals alles zusammengelogen wurde," will Neue Schar Mitglied Hans Pluta noch 1970 nicht aus dem Sinn, "geht auf keine Kuhhaut." Auf den Muckspezialisten antwortete zwei Tage später Georg Kötschau (1889-1976) unter der Schlagzeile:
Über den Jenaer Maler und Grafiker verfasste Fritz Steudtner (1977) eine biographische Studie, wo es heisst: "Kötschau war ein Mann von grossem Wissen. Es war erstaunlich, womit er sich beschäftigt und gründlich auseinandergesetzt hat. Man konnte anschlagen, was man wollte, er stand Rede und Antwort und hatte sich eine Meinung gebildet." So fiel es ihm nicht schwer, dem Muckspezialisten Unwissenheit nachzuweisen, den Vorwurf der freien Liebe ad absurdum zu führen und den Begriff Dirne in der Kloake zu versenken. Und er wirbt um menschliches Verständnis: "Seit zehn Jahren kenne ich Muck und kenne seine Entwicklung .... kenne auch Mucks Fehler ... und weiss trotz allem nur das Entscheidende: Muck ist gewachsen und wächst noch." Natürlich: "Das Geschehen auf der Leuchtenburg ist tragisch. Viel zu groß und fein, um hier breitgetreten zu werden. Nichts war da schmutzig." In dieser Weise schlug Kötschau der Wahrheit eine Bresche und liess seinen Zorn gegenüber S & H [Schweder & Hertzsch in Rudolstadt] freien Lauf:
Der schwere Angriff auf S & H bleibt seitens der Redaktion nicht unwidersprochen. Gleichzeitig bietet sie nahezu zeitgleich Hubert Meyer aus Altenschildeschen Gelegenheit für eine weitere Stellungnahme. Der entbietet dem Mann von der Leuchtenburg ein
um sogleich mitzuteilen:
Über die Lügen der Presse, seiner Gegner und die unschönen moralischen Urteile, drohte Muck zu verzweifeln. Er gibt sich nicht geschlagen. Im offenen Brief an Walter Hammer vom 5. August 1921 protestiert er: "Jeder junge Mensch, der hier durchkommt, kann sich selbst überzeugen, wie wir leben und schaffen und bauen an dem Neuen und Gesunden, wie wir als Lebensreformer und Geistige im Kampfe stehen mit den Philistern und Spießern, aber auch mit den Schriftleitern der Zeitschriften, die nicht der Ausdruck der Jugendbewegung, sondern Mache irgendeines Schreibers. Wir rufen den Jungen zu:
Der Hinauswurf von der Leuchtenburg und der daraufhin einsetzende heftige Streit über Liebe, Sexualität und Partnerschaft erfasste einen erheblichen Teil der deutschen Jugend. Auf die Anwürfe, Entstellungen und Lügen, antwortet Friedrich Muck-Lamberty als Führer [!] der Neuen Schar am 5. August 1921 im Zwiespruch mit einem offenen Brief an Walter Hammer. Mit der öffentlichen Positionierung des Führer-Titels brachte er seine Gegner in Rasche. Hammer antwortete denen, die brüderlich vereint im Zwiespruch zusammensassen, um "ein Jauchefass" über ihn "auszugießen". Ihn treten die Friesen zur Seite. Unter der Überschrift "Wieder mal um Muck", erklärt am 26. August 1921 Gerold von Friesland im Zwiespruch, dass sie Muck als Jugendführer ablehnen "und möchten ganz stark betonen, dass wir Friesen mit ihnen [Oma Prellwitz und Muck] nichts gemein haben". Im Kapitel Attacke der Zeitschrift Junge Menschen werden die Inhalte und Absichten dieser Fehde tiefer ergründet.
Der ehemalige Studienrat Johannes Resch (1875-1961), Sohn eines thüringischen Kirchenrats und Oberpfarrers, Gründer der Remscheider Volkshochschule (Knüppel 2012), beleuichtet die entstandene Lage: "Wenn sich die Jugend zum Teil von Muck wendet, weil sie von ihm enttäuscht sei als von einem, der mehr versprochen habe, so beweist sie damit nur, wie wenig Witterung für das Neue und wie wenig inneren Halt sie bisher besessen hat. Alles, was von der Jugend nur einen Funken inneren Selbständigkeit hat, wird bei dieser ersten Belastungsprobe nicht wie eine Schafherde auseinander fahren, sondern sich von dem starken Aufrüttler Muck einmal auch durch seine Taten gründliche aufrütteln und aufrufen lassen, dem furchtbaren Problem der Geschlechtsnot radikal, d.h. von der Wurzel aus, zu Leibe zu gehen, und nicht eher zu ruhen, als bis sie es - gleichviel ob mit Muck oder ohne ihn - aus dem Schlamm der Heimlichkeit und Heuchelei ans helle Tageslicht der Wahrheit und Wahrhaftigkeit gezogen hat." (1921)
Von der katholischen Jugend bläst der Neuen Schar ebenfalls heftig der Wind ins Gesicht. In der Oktober-Ausgabe 1920 von Die Kommenden warnt sie:
Georg Wilhelm Schiele (1868-1932), von Wolfgang Kapp im März 1920 als Wirtschaftsminister für die Putsch-Regierung nominiert, präsentiert 1925 (4) in den Naumburger Briefen die Kritik vom Stahlhelmflügel der Deutschnationalen an der Jugendbewegung nach Art der Neuen Schar:
Derartigen Ansichten bringt Muck, der bestimmten deutschnationalen Ideen, Volksgemeinschaft, Heimat, Volkstum, Volkslieder, durchaus zugeneigt, keine Sympathien entgegen. Mit der Wahl seines Wohnsitzes 1921 in Naumburg, trifft er, obwohl man es vielleicht anders vermuten könnte, auf ein ungünstiges Umfeld für die Entfaltung seiner Vorstellungen zur Organisation der Jugendbewegung.
Die Führer-Frage Eigentlich waren die treffenden Worte über Mucks jugendpolitisches Engagement längst gefunden, als 1921 Else Stroh glasklar feststellte: Er war ein Mensch der jungen Generation! Obwohl doch wahr, gaben sich die Öffentlichkeit und seine Gegner damit nicht zufrieden. Max Bondy (1882-1951) führte im Februar 1919 Klage darüber, dass "der grosse Führer fehlt, der ganz von ihrem Wesen erfüllt, ihr die Wege weist, die sie heute und künftighin gehen muss." Und die Jugend brauchte Führer, könnte man in Abwandlung einer Sentenz von Hans Blüher (1917) sagen, sonst ist es nur ein Haufen Minderjähriger oder eine Ansammlung junger Menschen. Es machte den Reiz des Wandervogels aus, dass er diese unidyllischen Typen mit Prophetie und Sendung hervorbrachte. Muck war eine Schöpfung dieser Gattung, passte aber mit seinem sozialen Habitus des proletarischen Handwerkers und Vagabunden nicht perfekt hinein. Denn die meisten Führer und Gestalter der Jugendbewegung, was Walter Jantzen (1957) an Hand von etwa einhundert Lebensläufen elaborierte, stammten fast ausnahmslos aus dem Mittelstand. Nur sehr selten gehörten ihre Herkunftsfamilien zum Adel, Offizierskorps oder Großunternehmertum. Auch eine proletarische Herkunft kann nicht als typisch gelten. Geographisch gesehen dominierte das Personal aus Mittel- und Ostdeutschland bei weitem den Westen. Eine katholische Herkunft ist anfänglich genauso selten wie die jüdische. Weitere Einblicke in die Führer-Debatte um Muck-Lamberty eröffnet, publiziert von Junge Menschen (Hamburg), der Brief von Eugen Diederichs (Jena) vom 10. Februar 1921 an den Kultusminister des Landes Sachsen-Altenburg, dem administrativ die Leuchtenburg untersteht. Der paternalistische Duktus des Textes wäre uns heute lästig, entspricht aber dem damaligen Umgang zwischen älterer und jüngerer Generation. Bald erinnert der Bittsteller an die Begegnung mit Muck auf dem Meissner 1913. Dann fällt der Pate und ältere Freund der Jugendbewegung, wie er sich nennt, das Urteil:
Doch Muck war, wie es von einem Führer erwartet, wagemutig. Immerhin organsierte und prägte er mit seinen Ideen die Bewegung der Neuen Schar. Seine Reden erreichten die Bürger und blieben ihnen lange in Erinnerung. Er war ein Kommunikations-Talent. So entstand in weiten Kreisen die Frage, ob er nicht Führer einer neuen, umfassenderen Jugendbewegung sein könnte? Friedrich Lienhard nutzt den Leuchtenburg-Skandal und läutet am 28. Februar 1921 in der Berliner Zeitung aus:
Unisono erklärt Gustav Schröer (1921):
"Dass er durch diese Handlungsweise [auf der Leuchtenburg] nicht mehr der Führer der von ihm selbst hervorgerufenen Bewegung sein kann," urteilt Richard Klewitz am 22. Februar 1921 in der Eisenacher Zeitung, "ist ohne weiteres klar, aber das ist eine schwere Tragik, an der er selbst sehr schwer tragen wird. Muck war von einem kindlichen, aber auch so besiegenden Charakter, dass die Fehltritte, die ihm jetzt vorgeworfen werden, gar leicht zu verstehen, wenn auch nicht zu entschuldigen sind." Ganz entschieden fordert das Junge Menschen (1921, 7, 106) aus Hamburg:
Später wird dies immer wieder aufgegriffen. "Das alles wäre nicht so schlimm gewesen,"heisst es beispielsweise 1998 in Kronacher Heimkehr und Wiederfinden, "aber Muck, die Seele des Ganzen, zeigte, dass er im Grunde kein Führer war, sondern ein Verführer." Wie gesagt, das Argument ist nicht neu, denn um die F ü h r e r f r a g e entzündete sich im Anschluss an den Leuchtenburg-Skandal ein heftiger Streit. Und das, obwohl Muck kurioserweise in Reden, Briefen, Mitteilungen und Aufsätzen dazu keinen Anlass gab. Und trotzdem, war es die Führerfrage, die seine Gegner besonders heftig erregte und als Vorwurf epidemischen Charakter annahm. Wenn es denn so war, dass er keinen Anspruch auf Führung in der Jugendbewegung erhob, warum enbrannte dann aber diese Wahnsinns-Debatte? Dafür sind zwei Ursachen seiner Selbstdarstellung massgeblich. Die eine findet sich in seiner Selbstdarstellung als Anführer der Tanz- und Spiel-Company und die andere steht im Kontext der November-Revolution. [A] "Er selbst sprach von sich", was Lisa Tetzner (1921, 773 ff.) in Selbstlose Brüderlichkeit beschreibt, "wie ein Johannes der Täufer: Ich bin nicht den Menschen verantwortlich, sondern dem, der mich gesandt hat. Ich komme im Namen Gottes und bereite nur einem die Wege, der nach mir kommt." So provozierte er praktisch die Frage, ob er vielleicht ein religiöser Führer sein könnte. Mithin suchte darauf Else Stroh als Erste eine Antwort. Wohl verstand er es, attestiert sie ihm 1921 in der Tat (134 ff.), die Naturhaftigkeit und das reine Lebensgefühl unmittelbar zu spiegeln. Dass aber sein Auftreten einer gewissen Emphase bedarf, "beweist eben seinen Mangel an stärkeren innerlichen Fähigkeiten." Es ist deshalb fraglich, ob er "den Anspruch erheben könnte, als religiöser Führer zu gelten". "Innerlich voll gelebtes Leben an sich", die Mucks Schar zugesprochen werden kann, bedeutet "aber im wesentlichen Sinne noch nicht wahre Religiosität". "Darum müssen wir es ablehnen, Muck als religiös begnadet und schöpferisch anzusehen, sondern wir müssen ihn
Die bürgerliche Bildungs- und Kulturelite lehnt Muck als Führer ab, worin sich indirekt ihre Normen, Werte und sozialen Vorurteile spiegeln. [B] Die Lage ist widersprüchlich. Einerseits erhebt Muck direkt keinen Führungsanspruch. Andererseits artikuliert sein Aufsatz Den jungen lebendigen Predigern (1919) das latente Bedürfnis der jungen Generation auf Führung. Denn die Alten, Kalten und Kasten hatten versagt. Sie konnten in der Revolutionszeit nichts zur "Genesung vom Fieber" beitragen. "Die neuen Leute sind nicht jung, sind nur in andere Mäntel gekleidet und haben nicht die Welle, der frischsprudelnden Quell der Jungnaturen .....". "Wiederum sind die Klugen am Werke, die kalten zuschauenden Geister". Jedoch ist von ihnen nichts zu erwarten, weil sie "kein Heimatschwingen, haben kein junges Klingen mehr im Blute". Deshalb braucht es der Jungnaturen und jungen lebendigen Prediger. Ihnen fällt die Aufgabe der Führung zu, was zwingend die Verjüngung des politischen Lebens erfordert. "Wir brauchen uns nicht zu ängstigen", therapiert Muck aus Bramwalde an der Weser die Zögerlichen, "wir haben das Volksempfinden, das Tiefste im Volke, das Herz zum Volke, die feinsten Kreise innerlichen Lebens für uns,
Sui generis war damit ein massenpsychologisch wirksamer Führungsanspruch artikuliert, der sich nun, fürchteten seine Gegner, mit dem Triumphzug der Neuen Schar durch Thüringen seine Bahn bricht. Besonders in den späteren Jahren, erscheint Mucks Verständnis des Führers diskussionswürdig. Zum Beispiel, wenn er am 23. Mai 1930 aus Naumburg an Karl Otto Paetel schreibt: "Heimat als Basis und Gemeinschaft als Ziel, darüber den Dom als das sichtbare Zeichen, dass die Führer und das Volk Gott geschaut haben." Hier deutet sich an, dass ihn die Kernfrage, die demokratische Legitimation der Macht entgleitet. Doch rechtfertigt es nicht, zumindest nicht für die Jahre von 1918 bis 1924, ihn als Anti-Demokraten abzufertigen. Demokratie erfordert nicht nur einen entsprechenden Staatsaufbau, Institutionen und Gesetze (Wahlrecht usw.). Sie erfordert ebenso eine entsprechende Alltagskultur zwischen den Bürgern. Und in dieser Hinsicht förderte die Neue Schar durchaus erhaltenswürdige kulturelle Elemente des demokratischen Verhaltens.
"Es war die Zeit der Inflationsheiligen," erklärt Rüdiger Safransky in Eine deutsche Affäre (2007, 331), "die auf der Straße, in den Wäldern, auf den Markplätzen, in den Zirkuszelten und den verräucherten Hinterzimmern von Kneipen Deutschland oder die Welt erlösen wollten." Die Erzählung über Friedrich Muck-Lamberty und die Neue Schar drohte öfter in ihren Sog gezogen zu werden. Ob der Titel Messias von Thüringen überhaupt verdient, daran zweifelten schon andere. Hans Pluta aus Bad Cannstatt schreibt am 2. September 1964 an Hertha Henschel: ". nur eben die Unterstellung der Messianischen Idee ist ganz großer Kohl. Wie es dazu kam, will ich Dir sagen. Im Anfang des Zuges in Südthüringen hatten wir für die Versammlung die Säle benutzt, von Weimar an stellte man uns Kirchen zur Verfügung. Wir sind gewohnt vom WV. [Wandervogel] aus Versammlungsstätten freundlich zu gestalten. Wir schmücken die Kirchen mit Blumen. Ich erinnere mich noch: in Erfurt die Barfüßerkirche war mit Blumengirlanden dekoriert, die uns die Gärtnereien zur Verfügung stellten. Muck hat immer in seinen Reden betont, wir kämen aus der Jugendbewegung und das Volk möchte sich nicht mit uns beschäftigen, sondern mit sich selber." Aber war der Holzdreher, wie oft behauptet (z.B. Kolk 2010, 50) wird, ein Inflationsheiliger? Chiliasmus und Heilserwartungen, etwa der Art wie bei Johannes Guttzeit, Gustav Nagel oder Gusto Gräser anzutreffen, sind ihm jedenfalls fremd. Muck wollte Niemanden erlösen, was andererseits für die Inflationsheiligen typisch war. Seine Idee der Handwerker-Gemeinschaft mit eigenen Vertriebsstellen, die er im Aufruf zur Deutschen Volksgemeinschaft 1918 präsentiert, diente allein dem Zweck, dass jeder sein Leben selbstbestimmt in die Hand nimmt,
Ebenso treibt Muck als Volksredner nicht die Mission des Erlösers,
sondern das Bedürfnis nach Nähe und Verstehen. "Er
verkündet kein neues Evangelium; er will, wenn ich ihn recht
verstehe, auch gar keine Lehre verkünden", urteilte ein
Zuhörer seiner Predigt am 30. September 1920 in der Georgenkirche
von Eisenach. "Er will nur jedem Menschen ein sehr großes
Geschenk machen, er will ihm sein Selbst schenken, indem er sein
eigenes stark pulsierendes Leben nahe an ih heranbringt, damit dasselbe
überall, wo der Mensch noch nicht ganz tot ist, das bisschen
verschüttete Leben in ihm aufspüre, das nun zu seiner
Kraft werden soll, die uns beseelt ... ."
Bestrebungen für ein Verbot der Neuen-Schar Einige Gegner rufen direkt zum Kampf gegen Muck auf. Im Aufsatz Der Messias der Leuchtenburg, veröffentlicht am 16. Februar 1921 im Jenaer Volksblatt, beklagt der Autor S & H, dass viele Menschen einen Druck zur Modernisierung verspüren, die Muck durch seine an Erpressung grenzende Anwerbungspropaganda inszeniert:
"Die Anklage,
unmodern zu sein, ist für viele unter uns die furchtbarste Bedrohung,
stellt den meisten von uns das Verächtlichste vor, dass sie sich
denken können." Das ist seine schärfste Waffe, ätzt S & H.
Deshalb "
. erscheint es hohe Zeit, dass vor allem den Schulen
und Seminaren die weitere Beteiligung an den Neuen-Schar-Bestrebungen
nachdrücklich untersagt wird und dass man ihnen nicht - wie das hier
und da geschehen ist -, auch noch die Kirchen und Schulen für ihre
eindeutigen Zwecke zur Verfügung stellt."
Elende Pharisäer und Heuchler! Nicht alle Nuck-Kritiker reagieren so drastisch wie Wilhelm Siegmeyer (1921), Emil Engelhardt (1921) oder Hjalmar Kutzleb / Andreas Paul Weber (1921). "Was Muck als Person getan hat, geht mich nichts an", teilt hingegen ein Vertreter der Arbeiterjugend als Nachwort auf die Anti-Muck-Kampagne mit. "Es ist seine Sache, wie er seine Reden mit seinen Handlungen vereinbart." (Eckhardt JM 1921, 8, 123) Ähnlich handhaben es einige Jungen von Kahla im Flugblatt vom März 1921: "Wir glauben ihm auch, wenn er für die Reinheit der Beziehungen der Menschen sprach, und wollen es seinem eigenen Gewissen überlassen, sich mit seinem Gott auseinanderzusetzen über Recht und Unrecht." "Er bezeichnet sich und wird als Gottgesandter bezeichnet.
rufen Die Naturfreunde vom Gau Thüringen im April 1921 aus. Dann aber beschreiben sie die Eckpunkte vom Fall Muck. Noch Ausgang 1920 druckte der sozialdemokratische Vorwärts den Brief eines Jenaer Arbeiters, der mit Heil Muck! Ausklang. "Auf einmal ist es anders. Das Heil Muck wurde zum "Steinigt ihn!". Und eigenartig: die ihn am meisten priesen und als Messias hochjubelten, werfen jetzt den dicksten Dreck auf ihn. Denn der Messias entpuppte sich als normaler Mensch. Er [Muck]
An der "Verkehrtheit der Lehren Mucks" zweifelt die Arbeiterjugend nicht. Auch die Naturfreunde kritisieren ihn. Indes lehnen sie den Verriss und die Herabwürdigung seiner Person, die durch das Land schwappt, ab. So lassen sie dann ihren Unmut heraus: "Es liegt uns nicht, zu untersuchen, was Muck verbrach und was für besondere Eigenschaften er hat, die den Ehrendienst des Bespeiens auslösen. Die Art, wie es geschieht, von seinen umgekrempelten Verherrlichern geschieht, zwingt zur Kritik.
Ein altes Wort sagt: Einer gefallenen Größe versetzt die Gemeinheit gern einen Tritt. Hier trifft's zu!" (NF) Darüber vergessen die Naturfreunde nicht den moralischen Anstand, lassen manchmal sogar Zuneigung zum Geschlagenen erkennen.
trösten sie ihn. Vielleicht ist eine Prise Ironie dabei, wer will das genau sagen? Und doch war ihre Verteidigungsrede unbedingt ehrlich gemeint, erinnerten sie doch zuvor an sein Engagement für die Jugend. Den Höhepunkt erreicht das Plädoyer der sozialistischen Umwelt-, Kultur-, Freizeit- und Touristikorganisation (NF 1921) in der Aussage: "Er ist ein Eigener. Er ist Revolutionär insoweit, als er seine Ideen zur Tat werden lässt. Er ist Kommunist, durch seine Lebensgemeinschaft in der Gemeinschaft seiner Schar. Er ist sogar ein Mutiger." Aus dieser Kritik, das gab es auch, spricht Achtung und das Bemühen um einen fairen menschlichen Umgang. Das trifft für einige Gruppen der Wander- und Arbeiterjugend zu.
War Muck ein Reformer? 1921 erscheint im Verlag von Erich Matthes in Leipzig das mit eindrucksvollen Grafiken von Andreas Paul Weber (1893-1980) ausgestaltete Buch
Muck stellt er hier ".... als sandalentragenden, langhaarigen, charismatischen Rohköstler dar, der eine riesige Rübe umklammert hält und dessen Augen in fanatischem Feuer leuchten". "Die fast höhnische Auffassung signalisierte", deuten es Helmut Schumacher und Klaus J. Dorsch (2003), "seinen eigenen Schwenk ins bürgerliche Leben." Die Autoren weisen von A. Paul. Weber. Leben und Werk in Texten und Bildern (2003) auf die Wende in seiner Haltung hin: "Webers Einschätzung hatte sich mehr als ein halbes Jahrhundert später gewandelt. Beim Anblick einiger Porträtaufnahmen Muck-Lambertys empfand er doch wieder Sympathie für den einst Vielgeschmähten: Der sei schon "ein Kerl" gewesen, interessant als Zeiterscheinung und "begeisternd durch die Tat, das Messianische."" Hjalmar Kutzleb (1885-1959) stellt den Zeitgenossen als Reformer vor, der die Menschen an "einen winzigen Punkt an der Außenseite her bessern" (89) will, was aber scheitern muss. Nur übersieht er, dass Geheimnis der Neuen Schar ist nicht der Neue Mensch. Nicht der Einzelne stand im Mittelpunkt, sondern dessen Beziehung und Beitrag zur Gemeinschaft. Die Belebung des Volkstanzes war verdienstvoll und den Zusammenhalt durch die Volksgemeinschaft jenseits der Parteien herbeizuführen, ist gewiss anzuerkennen, resümiert 1921 (774) Lisa Tetzner. Der Kern der Bewegung liegt aber "in der Gemeinschaft der neuen Schar selbst und ist ihre selbstlose Brüderlichkeit." Voraussetzung für den Neubau der Gesellschaft ist, wie Muck sagt, der Wille zur Gemeinschaft, dem Kommunismus im edelsten Sinne. So versucht er alle jungen und junggebliebenen Menschen, alle Seelenstarken zu einer neuen Gemeinde, die weder katholisch (Zentrum) noch evangelisch ist, sondern an die Gemeinschaft des Geistes glauben, zu verbinden. Ihm ist es ganz ernst mit dieser Idee.
Der
Dreizack "Auch ich", gesteht der Schriftsteller Franz Hammer 1975 (51) in Traum und Wirklichkeit, tanzte und sang [in Eisenach] mit. Von einem blauen Zettel lernte ich die Lieder der Neuen Schar und ihres Führers Muck-Lamberti, von dem man wie von einem Gottgesandten nur in Verzückung sprach." Doch dann, über vierzig Jahre später, stösst er mit dem Dreizack aus Schönlebe, Schmarotzer- und Faulenzertum auf die Neue Schar ein:
So verkündet es die Tageszeitung Das Volk (Erfurt) 1968 unter der Schlagzeile: Als 1921 die Langhaarigen kamen. Irgendjemand vertut sich mit der Jahreszahl. Es war ja bekanntlich 1920. Insgesamt folgt die Kritik der Zeitung modischen Formen des dogmatischen Denkens. Dennoch meint es Franz Hammer unbedingt ernst. Warum sonst wiederholt er diese Anwürfe 1975 in Traum und Wirklichkeit (53f.)? Wer dieses oberflächliche Urteil aus dem Volk zur Neuen Schar übernimmt, der braucht nicht darüber nachdenken, was gut an ihr war und was die Nachkommenden vielleicht besser machen müssten. Helmut Gollwitzer sprach es auf dem Meissner-Tag 1963 (54) klar aus:
Die politischen Hintergründe für die Ablehnung von Muck sind unschwer erkennbar: Als der Aufsatz 1968 erschien, waren die Langhaarigen im öffentlichen Raum nicht akzeptiert und geachtet. In Westeuropa protestierten sie gegen das Establishment. Ausserdem konnte sich die Partei- und Staatsführung nicht so recht für den Kampf der Jungen gegen die Alten erwärmen. Wohlüberlegt klebt die Tageszeitung aus Erfurt der Neuen Schar das Etikett "Deutschnationale Jugend" auf, was 1968 bedeutet: Die waren reaktionär. Und genau das waren sie nicht! Kein Wort von der Rebellion gegen die Alten. Keine Silbe über das originelle Spiel und Tanzen, ihren Aufbruch zu neuen Horizonten. Kein Buchstabe über ihren mutigen Kampf mit den Philistern.
Die Leuchtenburg als Treffpunkt der Jugendbewegung .... In Ostdeutschland fällt der Sturmtrupp des Sommers 1920 (Lisa Tetzner) nahezu der Vergessenheit anheim. Nur "Ein Christ im Kampfe gegen den Faschismus, für Frieden und Sozialismus", so der Untertitel des Buches Mein Leben von Pfarrer Emil Fuchs (*1874), würdigt 1959 die Neue Schar gleichermassen entschieden wie emphatisch als Teil einer grossartigen Jugendbewegung. Ebenso aufschlussreich
sind in dieser Hinsicht die Notizen von Franz Hammer (1908-1985), der
nach 1945 in Thüringen den Arbeitskreis junger Autoren gründete.
Er war im Kulturbund, als Lektor, Dramaturg am Landestheater Eisenach
und Schriftsteller tätig. Leider fällt seine politische Beurteilung
der Neuen Schar im Jahr 1968, wie bereits im Abschnitt Mit dem Dreizack
verdient ein gründliches Studium. Im Rahmen einer Volkskundlichen Untersuchung zum Gemeinschaftsleben von Jugendgruppen legt Kurt Haufschild eine umfangreiche, mit vielen authentischen und aussagekräftigen Quellen unterlegte Studie vor. Mittels der Oral History Methode rekonstruiert er gruppenspezifische Haltungen und Einstellungen zu ihren Aktivitäten. Intensiv wendet er sich der Neuen Schar und ihrem Leben auf der Leuchtenburg zu. Besondere Aufmerksamkeit erfahren die politischen Hintergründe und sozioökonomischen Verhältnisse, was ansonsten in gleichgelagerten Aufsätzen öfter vernachlässigt wurde. Für den Verfasser war absolut klar, dass die KPD als "einzige Kraft" (Seite 31) den richtigen Weg wies. Zwangsläufig müssen dann einige Momente des Engagements der Neuen Schar als rückständig erscheinen. Damit tritt eine grundsätzliche methodisch-theoretische Frage im Umgang mit der Spiel & Tanz-Company zu Tage: Kann man ihre Aktionen und Ambitionen mit der Elle einer fundierten Theorie und an den Interessen organisierten Arbeiterbewegung vermessen? Könnte dies vielleicht den Blick auf die progressiven Seiten des Thüringer Sommers 1920 verstellen? Denn es war doch mehr eine Bürger- als politische Bewegung. Würde ihr Mut gegen den Strom zu schwimmen, damit nicht verkannt? Über die von Friedrich Muck-Lamberty praktizierte katholische Methode, urteilt der Autor zu streng, womit der Irrtum auf Seite 5 vorbereitet: "Nach der Novemberrevolution gab die bürgerliche Jugendbewegung ihre Opposition gegenüber der älteren Generation auf und unterstützte offen die Ideologie herrschenden Klasse." Die Neue Schar stürzte sich in den Kampf gegen die Herrschaft der Alten. Es war ein Motiv, das sie ästhetisch, kulturell und dezent-politisch aufbereitete und vornan durch das thüringer Land trug. Die Leuchtenburg als Treffpunkt der Jugendbewegung 1919-1933 vermittelt 1975 wichtiges Wissen über die Neue Schar und Friedrich Muck-Lamberty, was etwas ausserhalb des damaligen Wissenskanon lag. Kurt Haufschild leistete einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der Jugendbewegung um die Leuchtenburg.
Attacken der Zeitschrift Junge Menschen zurück Öffentliche Kritik provoziert oft wachsende Popularität. "Man hat ihn hinausgeworfen," erfahren wir von Lisa Tetzner (1921, 773), "die Polizei auf ihn gehetzt, hat ihn verbannt und landesverwiesen. Das alles aber hat den geheimnisvollen Nimbus, der über der Schar liegt, nur verstärkt und Muck selbst zu dem
Genau das befürchteten einige Strategen, die ihn weder in dieser Rolle noch als Führer einer neuen Jugendbewegung sehen wollten.
Die Abteilung Attacke der Zeitschrift Junge Menschen (JM) organisierte eine Kampagne gegen Muck. Mit ihren 13 000 Exemplaren je Ausgabe prägt sie das Meinungsbild in weiten Teilen der Freideutschen Jugend und darüber hinaus. Wohl ist die Stimme des neuen Jugendwillens dem radikalen Humanismus verpflichtet und bemüht, die Wahrheit nicht in Parteiangelegenheiten untergehen zu lassen, weshalb es noch heute Freude bereitet, die kulturpolitischen Essays, Reportagen und Berichte zu lesen. Aber warum unterstützt das Blatt der deutschen Jugend, Stimme des neuen Jugendwillens nicht den Protest gegen die überkommenden wilhelminischen Moralkodizes und den Kampf gegen die Philister? War das nicht in ihrem Sinne? Es war doch Walter Hammer höchstpersönlich, der sich 1913 mit Nietzsche als Erzieher gegen das Spiessertum und antiquierte Wilhelminische Establishments wandte. Sieht die Redaktion von Junge Menschen in Lambertys-Schar etwa einen Konkurrenten? Hegte die Schriftleitung vielleicht einfach nur Vorurteile? Oder war es das hergebrachte politische Rechts-Links-Schema, das sie am freien Urteil hinderte? Warum streitet Walter Hammer (1888-1966) mit Muck-Lamberty? Es ist dessen "verantwortungslose sexuelle Freizügigkeit, verbunden mit der rauschhaften Idee der Zeugung eines Messias", antwortet Jürgen Kolk 2010 (50) darauf in seiner Dissertationsschrift über den Verleger der Jugendbwegung. Ein Studium der kulturell ansprechenden und vielseitigen Zeitschrift Junge Menschen, fördert allerdings eine Reihe anderer Beweggründe zu Tage. Ihm bereitete dessen wachsende Beliebtheit und Autorität als "Jugendführer" Unbehagen. Er misstraute dem spontanen Charakter der Neuen Schar-Bewegung. Möglicherweise verortet er deren Führer im politischen Nachkriegsgelände falsch, etwa in der Nähe von Frank Glatzel oder Hjalmar Kutzleb. Jedenfalls fällt seine Kritik öfter einseitig aus. An die Stelle von Beweisen treten Behauptungen, woran nicht selten völlig überzogene moralische Urteile geheftet werden, was im Versuch der Psychiatrisierung kulminiert. Im Streit um die Geschlechtermoral, das Mann-Frau-Verhältnis und die Verantwortung eines Jugendführers vermischt Walter Hammer Privates und Politisches. Der Ko-Herausgeber von Junge Menschen ging nicht immer fair mit Muck um.
Fest steht, viele hatten mit Muck eine Rechnung offen. Die einen vergrämt, weil er sich in Kronach vom Wandervogel absonderte. Andere wieder verübelten ihm die öffentliche und harte Kritik am Verhalten von Mitgliedern des Wandervogels im letzten Krieg. Die nächsten neideten ihn den Erfolg mit der Neuen Schar, der außerhalb der organisierten Jugend errungen. Zu allem Überdruss warf Muck der Masse, so geschehen am 10. September 1920 in der Kapuzinerpredigt zu Gotha, den fehlenden Hunger nach Gerechtigkeit vor, womit er sich neben alledem nicht gerade beliebt machte. "Ich glaube wohl, das Muck-Lamberty in seinem Leben Vielen auf die Nerven gefallen ist, ja ihnen ein Gram erweckt hat mit seiner ungestümen Zielstrebigkeit, die sich doch intellektuell nicht erklären kann ", gibt 1921 Gertrud Prellwitz (2) ihre Erfahrungen wieder. Seine deutschnationalen und antisozialistischen Attitüden forderten wieder ganz andere politische Gegner heraus. Einige nutzten die Gelegenheit für einen Aufklärungsfeldzug besonderer Art, um klarzustellen, was er doch für ein Feigling, Verräter, Nichtsnutz und Saboteur war. Ein weiteres Motiv für die Ablehnung von Muck-Lamberty eruierte Gisella Selden-Goth (1920). Während ihres Aufenthaltes in Weimar beobachtete sie: "Auch rechts- und linksgerichteten Blättern missfällt das Treiben des Mannes, der gesinnungslos ist im wahren Sinne des Wortes und unter dessen Einfluss die deutschvölkischen und sozialistischen Jugendgruppen der durchwanderten Gegenden gleicherweise sich ihre Mitgliederzahl sich vermindern sehen."
Im Brief an den altenburgischen Staatsminister vom 10. Februar 1921 legt sich Eugen Diederichs die Frage vor:
Er ist "echt
als religiöser Schwärmer" und "Exponent all jenes
Unklaren, Chaotischen, was in der Jugend ringt", lautet seine Antwort.
Aber, religiöses Bewusstsein und Sexualität, woraus Muck seine
Kraft gewinnt, treten in der Geschichte nicht selten zusammen auf. "Es
wäre darum im kulturellen Sinne falsch", legt der Briefschreiber
dem Minister nahe, "Muck seine polygame Betätigung vorzuwerfen".
Unter Rückgriff auf Darlegungen zur Psychodynamik der Triebe entlastet
er den "Angeklagten". Im März-Heft von 1921 stilisiert die Schriftleitung von JM den Vorgang zum Fall Muck. Herausgeber Walter Hammer holt bei Muck Auskünfte ein.
illustriert er das Ergebnis. In Heft 7, 1921, veröffentlich er den Aufsatz
Zunächst erklangen
in Junge Menschen (JM) noch andere Stimmen. Ende Januar 1921 berichtete
im Heft 2 Karl Wilker (1880-1985) unbefangen über das Leben und den
grossartigen experimentellen Geist der Neuen Schar auf der Leuchtenburg.
Im Februar 1921 publizierte JM den Brief des Verlegers Eugen
Diederichs an Herrn Kultusminister Mehnert in Altenburg, der von viel
Verständnis getragen war. Vor allem war er sachlich, also ohne pauschale
und zerstörende Sätze, wovon noch in der allgemeinen Presse
so viele folgen sollten. Ebenso
war der Beitrag von Bruno Eckhardt in Heft 8 - 1921 geeignet,
eine Wende in der Debatte herbeizuführen. Es sollte aber nicht sein. JM zeichnet weiter am Bild des Anti-Helden und nimmt seine Kriegsdienstzeit auf Helgoland unter die Lupe. Hierüber verbreitet sich Wilhelm Siegmeyer im April-Heft von 1921. Für Gegenmeinungen plant die Redaktion offenbar keinen Raum ein, ja, es wäre nach Auffassung der Schriftleitung sogar unverantwortlich, wenn man dies tun würde. Walter Hammer nimmt sogar daran Anstoss, dass "Verehrer, die unter dem berückenden Eindruck einer flüchtigen Begegnung zum Teil sogar aus der Ferne, Lobeshymnen veröffentlichen" (JM 1921, 7, 106). Statt Junge Menschen (JM) zum Ort der Erwägungskultur zu machen, startet er die Kampagne Hau den Muck, vergleichbar dem Schauspiel auf Jahrmärkten, wo jeder durch Schlag mit einem überdimensionierten Holzhammer auf den gefederten Knopf seine Kraft dem staunenden Publikum demonstrieren kann. Einige bekannte Persönlichkeiten hauen heftig zu. "Die großen Gefahren, die in dem Zusammenleben junger, körperlich reifer Menschen liegen," mahnt im Februar `21 Gustav Schröer aus Erfurt, "dürfen nicht mehr übersehen werden.
"Muck kennt seine Grenzen nicht", kritisiert Walter Hammer im Mai-Heft 1921. Ihn ärgerte, "den Weg in die Stille, in die Einsamkeit, diesen Weg, den man ihn von allen Seiten her gebahnt hat, ist er nicht gegangen. Trotz schwerster Vorwürfe - die seine vielfache Vaterschaft nur insofern berühren, - als für die Kinder nicht gesorgt wird - versteift sich Muck darauf, seine Rolle weiterzuspielen."
meint Walter Hammer. "Ich bitte daher jeden Leser, mich in meinem Bestreben zur Klärung dieser Frage zu unterstützen!" (JM 21, 7, 106) Auf keinen Fall möchte er weitere Sympathiekundgebungen für ML und verleiht der Sache Dringlichkeit, wenn er darauf hinweist, dass es "bereits einen besonderen Typus des Muck Jüngers mit den gleichen Merkmalen der Hysterie" gibt (JM 1922, 15/16, 225). Muck lag viel daran, den Konflikt mit der Zeitschrift Junge Menschen auszuräumen. Am Vorabend der Pfingsttagung 1921 sucht er Walter Hammer auf dem Ludwigstein auf und verlangt "mit etwas starkem Wortaufwand", er solle "seine auf jahrelanger Erfahrung beruhende und vor ihrer Veröffentlichung reichlich überdachten Meinung" über ihn widerrufen (JM 1921, 10, 158). Aber der sieht sich dazu ausserstande. Walter Hammer verdammte den Zwiespruch, wo man brüderlich vereint (JM 1921, 16, 254),
Besonders verärgerte ihn der Angriff auf Freunde, die Muck "als Wandervögel bezeichnet, die ihm Näherbesehen als oberflächliche Menschen erscheinen". Zudem empfindet er es als "unübertreffliche Dreistigkeit", dass es Muck wagte ungeladen an der Pfingsttagung der Jugend 1921 auf dem Ludwigstein teilzunehmen. Im letzten Mai-Heft fand er dafür noch freundlichere Worte, weil Muck in der Diskussion fair und konstruktiv auftrat. Inzwischen übernahm Hammer die "peinliche Aufgabe", dessen Vaterschaftsverpflichtungen zu überprüfen. Bald darauf teilt er mit: "So hat sich auch das Material gegen Muck inzwischen bei mir dermassen vernichtend angehäuft, dass ich dem Bitten führender Menschen der Jugendbewegung nachgab und mit seiner Veröffentlichung zurückhielt". Aber damit ist jetzt Schluss, kündigt Walter Hammer an. "Er, der schon seit einem Jahrzehnt nichts Besseres zu tun gewusst hat, als schmarotzend durch das Land zu ziehen, sich immer wieder eitel in Szene zu setzen und schöpferische Menschen anzupöbeln, soll endlich die ihm gebührende Abfuhr erteilt werden." (Ebenda) Auf der gegenüberliegenden Heftseite erschien schon die Anzeige:
Bereits drei Monate zuvor klagte Walter Hammer darüber, dass er "ausserstande das Muck-Problem noch unbefangen zu behandeln und muss deswegen auch auf die in Aussicht gestellte Buchveröffentlichung verzichten". Bei der Gelegenheit warf er ihn "nicht mehr zu übertreffende Dreistigkeit" vor, weil er "alles gegen ihn Vorgebrachte" "einfach als Lüge und Entstellung bezeichnet." Wir sollten dennoch, so Hammer im Mai 1921, zur "Tagesordnung übergehen". Das geschieht erstmal nicht. Denn am 5. August 1921 rechnet Friedrich Muck-Lamberty im Zwiespruch - der Zeitschrift für die Wanderbünde - in einem offenen Brief mit Walter Hammer ab. Er schreibt: "Ich kenne Dich seit 1913 vom Hohen Meißner. . So habe ich Dich immer wieder getroffen. Damals, als wir den Gräser-Bund ins Leben rufen wollten, schriebst Du mir, Du könntest den Gräser nicht mehr in die Dokumente des Vegetarismus aufnehmen, da Du gehört habest, Gräser hätte einmal irgendwann ein Würstel gegessen. In Wirklichkeit war es aber so, daß Dir Gräser als ein Freier zu lebendig erschien und Du es nicht ertragen konntest, dass Gräser als völkisch Denkender auch Dir einmal die Meinung sagte." Zusammen mit Hans Paasche und Hermann Popert warst Du dann 1914 bei den Vortrupp-Tagen in Leipzig mein Gegner. "Seitdem bist Du es immer geblieben, weil Deine Art nicht die meine verstehen konnte. Du hast garnichts Männliches an Dir, Du kannst den Heimattreuen nie verstehen, wie ja auch der prächtige Baumeister Buschhüter vom Rhein als mein guter Freund es Dir immer schon sagte: `Der Hammer ist nicht einmal ein Stiel.` Ich hatte damals nicht soweit gesehen, um Dich gleich als ein Mischer abzutun, aber die Erfahrungen der letzten Monate, besonders
und Dein bewusstes Entstellen der Wirklichkeiten und ein hineinziehen von Unwahrheiten und Gerüchten, haben mir gezeigt, das Du der gleiche Giftmischer geblieben bist und es bleiben wirst. Du stehst auf den Posten eines Schriftleiters einer Jugendzeitschrift und lässt die Jugend nicht zu Wort kommen. Du verschweigst Briefe, die Klarheit bringen könnten und gibst Gerüchte und Zweifel wieder, die immer wieder in den jungen Menschen vernichtend wirken. Du bist also keine Lichtnatur, die an den Sieg des Geistes glaubt, sondern ein Macher, genauso wie Deine Mache von der schwarz-rot-goldenen Fahne. Und Dein Paasche-Bund ist eine Mache, Deine Getue als Schriftleiter und Verfasser von Wintersportbüchlein und Aufrufen zur Sammlung von Blechdosen im Kriege, Deine Anzeigen von Briefmarkensammlungen, die Du kaufen willst, und ungebrauchte Konversationslexien im `Zwiespruch`, die Du suchtest, das alles zeigt mir immer mehr und mehr, dass Du kein schöpferischer, frommer Mensch bist, kein Geistiger, sondern ein Sammler, eine jene Naturen, die gut es verstehenen, alles zusammenzutragen und zu kochen, den Schaum dann in der Jugendzeitung zu veröffentlichen. So habe ich mit meinen Getreuen in den letzten Nummern auch all das gelesen, was wir im harten Kämpfen auf dem Ludwigstein wiedergaben, das vom Handwerk. Du, der nie im Leben Schwielen an den Händen gehabt hast, schreibt vom Schaffenden. Ein Mensch, der nie einen Wagen voller Stroh geladen hat, ruft zur Erntearbeit auf. Ein Schreiber am grünen Tische will über den schaffenden Menschen urteilen und mischt sein eigenes Gift in die Gerüchte .... Und überall, wo nur irgendwo etwas gegen mich geschrieben wird, sammelt der Sammler und Rammler die Sachen, wie die Althändler, und macht daraus etwas für die `jungen Menschen`, bis die Kerle aufstehen und ihm zurufen:
.... Er hat den jungen Menschen vorgelogen, auf Grund von Gerüchten, dass ich bis zum 1. Mai 1921 mehr als ein Kind hätte, er hat von mehreren ´unehlichen´ Kindern gesprochen und gesagt, dass ich herumvagabundiere. Er hat von mir die Wahrheit erfahren, dass im Herbst 1920 mir mein Klausjunge geboren wurde und im Maien 1921 mein Eschekindlein. Er hat alles verschwiegen und lässt den Zweifel weiter fressen, weil es ihm unangenehm ist, die Wahrheit zu sagen. Er hat auf einmal eine sonderbare Moral und spielt sich auf, als müsse er Warnungssignale für die Jugend abgeben, er, der selbst nie im Leben etwas geschaffen hat. .... Und wenn die Stunde kommt, da wir Jungen wieder aufbrechen, dann braucht der Hammer es nicht zu verschweigen und kann neue Gerüchte hämmern, dass die Affen und Narren es glauben, aber die Lebendigen horchen auf und lauschen und spüren das Leben überall. ..... Wir grüssen die Jungen im Lande und rufen diesen ein frohmutiges Heil zu. Und Du sollst schweigen lernen und abdanken, weil Du ein Mischer bist. Muck-Lamberty, Drechsler"
Das gefiel Walter Hammer gewiss nicht. Die verbalen Keilereien gingen weiter. Junge Menschen (JM) verschärft weiter den Ton gegenüber Muck. Mit der Abhandlung Irrsinn oder Gaunertum? erreicht die Anti-Muck-Kampagne ein Jahr später ihren Höhepunkt. Von etwas Selbstmitleid getragen, äussert Autor Walter Hammer: "Es ist eine peinliche und keineswegs erfreuliche Aufgabe, sich hier abschliessend noch einmal mit diesen Psychopathen abgeben zu müssen ....". Gemeint sind Johannes Guttzeit, Danny Gürtler und der Oberdeubel im Höllenstaat der Psychopathen Ludwig Christian Haeusser. Walter Hammer bezeichnet sie als ein buntes Gemisch von Irrsinn und Gaunertum und beklagt dann:
Damit verleiht er der öffentlichen Debatte um die Vagabundenkultur, Wanderpropheten, Asozialen, Landstreicher und Inflationsheiligen einen inhumanen Impuls und schreckt (JM Mai 1922, 9/10, 138/142) nicht vor der Aufforderung zurück:
Ulrich Linse kritisiert in Barfüßige Propheten (1983, 33) die Neigung zur Psychiatrisierung dieser Personengruppen, stand doch andererseits fest, dass sie im medizinisch-klinischen Sinne nicht krank waren. Im Lichte der Innen- und gesundheitspolitischen Entwicklung erscheinen die zitierten Äusserungen von Walter Hammer ein wenig leichtfertig, weil sie die in Deutschland ohnehin vorhandenen Tendenz zur Institutionalisierung von Rassenhygiene und Eugenik zur sozialen Verhaltenskontrolle unterstützen. Alfred Grotjahn (1869-1931), Begründer der Sozialhygiene in Deutschland und von 1921 bis 1924 Mitglied des Reichstages, fordert 1921 bei gleichzeitig abgestufter Zwangsbehandlung von etwa einem Drittel der gesamten Bevölkerung, die Zwangsasylierung von mehr als einer Million Fällen "schwerer Entartung". Der letzte Beitrag von Walter Hammer in JM 1922 (15/16, 225/226) über den "eitlen Komödianten Lamberty" wiederholt die Essentials: "ewiger Vagabund" der "unerfreulichsten Art" .... "als Kind ausgerissen".... als "Hausknecht rausgeschmissen" .... kein Wunder, die Wandervögel hatten ihn "bald als Schmarotzer" durchschaut.
Mucks Ansehen scheint arg zerschunden.
Noch am 27. Juli 1933 streitet er mit den Redakteuren der Nordbayerischen Zeitung vor dem Nürnberger Amtsgericht über die Wahrheit. Ihre Gazette kolportierte am 10. August 1928 unter dem Titel
erneut irrwitzige Vorwürfe. Hier war zu lesen, Muck habe geäußert, er sei vom Himmel gesandt, um im Verein mit reinen Jungfrauen einen neuen Messias in die Welt zu setzen. Ein Mädchen, mit der er geschlechtliche Beziehung eingegangen, drohte er im Zorn, sie Lügnerin zu deklassieren, ja als Irrsinnige hinzustellen, wenn sie etwas ausplaudert. Die Anschuldigungen konnten nicht aufrechterhalten werden. (Vgl. MZN) Das war ein kleiner Erfolg. Aber seine Reputation als Jugendführer war längst dahin. Ihm bot sich keine Chance, die öffentliche Meinung zu wenden. Mit Muck ging die Schriftleitung von JM nicht gut um. Vielleicht spürte das Walter Hammer irgendwie und versuchte die Flucht nach vorn, wenn er äussert: "Nichts liegt mir ferner, gestern wie heute, als die moralische Verlogenheit der Spiessbürger und Kriegsschieber gegen Muck herauszufordern. Um der Sache willen und zur Rechtfertigung eines scharfen Kampfes gegen die etwaigen Verleumder Mucks würde ich es freudig begrüssen, wenn die Nachprüfung zu Mucks Gunsten ausfiele." (JM 1921, 10, 158). Nur in den frühen Beiträgen, verfasst von Willi Wismann (1920), Karl Wilker (1921), Bruno Eckhardt (1921) und Eugen Diederichs (1921), erfuhr Muck durch Junge Menschen (JM) Muck eine faire Behandlung. Danach findet die Zeitschrift für ihn keine anerkennenden Worte mehr. Vergessen der feinsinnige Umgang mit Kindern, das Talent mit ihnen zu spielen und zu tanzen, das Experimentieren mit originellen Formen der Kommunikation oder die Popularisierung des deutschen Volksliedes. JM wollte die Revolte gegen die Alten, ihren Kampf gegen die Philister und Kalten und ihren durchaus ansehnlichen Beitrag zu einer neuen Jugendkultur nicht thematisieren. Man nennt dies Einseitigkeit.
"Wir haben es gewagt!" nach oben Nach dem Ketzerprozess und Leuchtenburg-Skandal ist Mucks Lage deprimierend. "Alles, was wir Jungen als das Esoterische erlebten," klagt er am 21. April 1921, "um daraus das Beste für uns und die Jugend zu gewinnen, haben nun die Literaten und Pressemenschen auf die Strasse gezerrt." Er empfindet das als ungerecht. In Die Handwerkerschar von der Leuchtenburg (23.11.1921) putzt er sich den Schmerz von der Seele:
Stolz erklärt er: "Wir haben es gewagt!" In vielen Städten und Dörfern eifern Jugendliche der Neuen Schar nach. Im Juni 1921 wartet die Reichspost aus Wien mit einer interessanten Nachricht auf: "In den größeren Städten Thüringens bildeten sich in der Folge überall Neue Scharen, die für den Meister fleissig sammelten und dem Autodidakten sogar das nachträgliche Studium an der Universität Jena ermöglichen wollten." "Im Sommer 1921 zog eine Gruppe durch Westfalen, die in Aussehen und Auftreten bis hin zu den Reden Muck Lambertys Neue Schar kopierte. Sie verbreitet Lisa Tetzners Artikel Selbstlose Brüderlichkeit ohne deren Wissen als Flugblatt und erweckte damit den Eindruck, diese neue Verbindung sei darin beschrieben." (Geussen 1999, 62f.) Im Ministererlass des Sächsischen Innenministeriums vom 8. Dezember 1920 steht geschrieben, dass eine gewisser Hans Albert Förster nach dem Vorbild von Muck Lamberty durch das Land zieht und dabei der Bevölkerung mit Schwänken, Kaspertheater und Theaterabenden Unterhaltung bietet, dreimal verhaftet worden ist: einmal in Bayern als Kommunist, in Meiningen als Reaktionär, zuletzt noch als Landstreicher, "da die Behörden scheinbar den tieferen Sinn dieser Arbeit nicht erkannt haben". Einen weiteren Nachfolger des Wunderheilands aus Thüringen Friedrich Muck-Lamberty entdeckte im März 1921 die Tages-Post aus Linz in Gustav Müller-Czerny (1862-1922). Der Mann aus dem Taunus Luftkurort Homburg vor der Höhe nennt sich Christus II. und behauptet im Übrigen seine historische Identität mit dem Gottmenschen Christus. Nur Gratis, bewirkt er prinzipiell keine Wunder. "Die Gestalt Müller-Czernys ist" - nach Ansicht des Blattes - "wie die Muck-Lambertys ein lebendiger Beweis, wie sehr unser deutsches Volk aus dem seelischen Gleichgewicht gekommen ist, denn sonst wäre es wohl unmöglich, dass solche Gaukler tatsächlich Anhänger gewinnen konnten." Die (mir) bekannten Nachfolgegruppen bestanden nicht allzu lange. Die Freideutsche Jugend prognostizierte im November 1920 (Heft 11, 370): "Der innerste Zug der freien Arbeiterjugend geht zum Menschentum und nicht zum Parteiensozialismus." Ein Irrtum. Die freideutsche Bewegung flaute ab, weil die Jugend sich zunehmend in konfessionelle, sprich evangelische und katholische Jugendverbände, in berufsständische Korporationen sowie Verbände für Leibesübungen, besonders aber in der Partei-Jugend organisierte. Damit war die Organisationsform der Neuen Schar obsolet, ihre Ambitionen liefen in Form und Inhalt den allgemeinen Entwicklungstendenzen der Jugendbewegung entgegen. Ausserdem war es doch so, wie es Einige Jungen von Kahla im Flugblatt vom März 1921 festhielten:
Ankunft in Naumburg nach oben "Dem Vernehmen nach", teilt das Jenaer Volksblatt am 16. Februar 1921 mit, "soll Muck eine Wohnung in Naumburg angeboten sein." Dort meldet er sich am 21. Juni 1921 bei der Polizei unter der Adresse Neidschützer Straße 27 an. Mit ihm kamen 10 bis 15 Leute von der Schar. Sie wohnten am Rande der Hochebene über dem Saaletal in der Bodenkammer und im Untergeschoss des Hauses von Frau Wigger Gött, der Schwester des badischen Dichters Emil Gött. Oft wird gesagt, dass nach dem Auszug aus der Leuchtenburg und Übersiedlung nach Naumburg (Saale) die Bewegung der Neuen Schar zusammenbricht. So ganz scheint das nicht zu stimmen. Denn er versucht mit einige Helfern, dass Begonnene fortzusetzen. Am 28. Februar 1921 publiziert Muck einen Brief an Admiral Scheer in Weimar. Im selben Jahr erscheint noch Die Handwerkerschar von der Leuchtenburg (23. November) und Schuld am kommenden Elend (18. März). Der Schwung reicht zumindest noch für folgende Ankündigung in Die junge Volksgemeinde. Blätter vom neuen Werden:
1921 klingen seine Worte im Geleitwort zum Liederbuch Unter den Linden noch optimistisch:
Ein Jahr später erscheint die zweite Auflage des Liederbuchs. Im Vorwort kündigt er an:
Das konnten Mucks Widersacher durchaus als Herausforderung verstehen. So gesehen war ihre Aufregung - etwa in Junge Menschen - verständlich.
Muck lebt in Naumburg auf dem Grundstück Neidschützer Straße 27, das sich in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Hossfeld`s (1, 2, 3) befindet. Holger Fidus (1978), eigentlich Hugo Höppener (1868-1948), schreibt über die ersten Tage in Naumburg:
Im Brief vom 24. Juli 1921 aus Naumburg an Hanna und Gertrud teilt Muck mit:
Heute Abend kommt Gusto Gräser und wird dann bleiben. Ich freue mich, dass ein so heiler und mutiger und froher Mensch, der so ganz verwurzelt ist mit Heimatlauge und Wald, bei uns bleiben will. Dann soll sich hier ein Strahlenbündel sammeln und dann und wann hinausströmen ins Volk. Alle, die wirklich jetzt mithelfen können sollen alles, was sie haben und verwenden können, dafür einzusetzen, dass dieser Gusto Gräser jetzt hier bleiben kann." Dieser Plan geht nicht in Erfüllung. Der Zwiespruch enthüllt am 9. September 1921:
Die Zeitung für Wanderbünde sorgt sich um den Aussteiger:
Gräser wurde in das Konzentrationslager Cottbus-Sielow eingeliefert.
"Dass
ich Vater geworden bin,
"Als Muck fast zeitgleich drei seiner Jüngerinnen schwängert," weiss Hans-Dieter Speck (2005), "empört sich der Kahlaer Pfarrer." Der bekannte Journalist des Naumburger Tageblatts befindet sich mit seiner Vermutung in bester Gesellschaft. "Er hielt es für seine Pflicht, jedes Mädchen und jede Frau in Not `zu erlösen`", krönt Walter Laqueur (133) in seiner Studie von 1962 über die deutsche Jugendbewegung Muck-Lambertys Liebesabenteuer. In dieser Weise ist das öffentliche Bild über die Geschlechtermoral der Neuen Schar stark entstellt worden. Verschiedenste Pressemitteilungen und Nachrichten taten noch etwas mehr dazu. "Nun möchte ich auch berichten über das Verhältnis der Geschlechter untereinander bei der Stammschar, weil da so faustdicke Lügen in den Zeitungen immer wieder auftauchten und die gesamte Wandervogelbewegung mit Schmutz beworfen wurde", wendet sich Hans Pluta aus Bad Cannstatt am 2. September 1964 mit folgenden Zeilen an Hertha Henschel:
Warum reagierte die Presse so heftig auf den Leuchtenburg-Skandal? Forderte Muck sie und den moralisch traditionell orientierten Teil der Öffentlichkeit mit seiner klaren Haltung zur Vaterschaft heraus? Jedenfalls tut er im Kahlaer Tageblatt kund: "Dass ich Vater geworden bin, war mein heiliger Wille und ich bin hocherfreut. Es ist meine Sache und ich bin nur Gott gegenüber verpflichtet. Ich hoffe, dass unter den jungen Menschen viele sich finden, die erkennen, dass das Kind mehr bedeutet als eine Fortpflanzung nur. Dass ich einen ausserordentlichen Mannesweg gegangen bin in vollster Verantwortung, ist meine Sache." Und prompt folgt der Vorwurf: "So kann wohl nur ein Fanatiker sprechen oder ein Betrüger, dem die Folgen des Treibens gleichgültig sind." (Alouis Oberhummer 1921)
Zwei Briefe von Muck erhellen die Vorgänge. Am 24. Juli 1921 instruiert er aus Naumburg Kurt Kläber (1897-1959), Freund (1919) und Ehemann (1924) von Lisa Tetzner: " Du weisst von meinem Jungen - den Klaus von der Trude aus Zittau (weil Du in Zittau gelebt hast. Zählt bitte meine Kinder nur einmal) - die Trude wohnt nun an der Ostsee. Ausser meinem Klausjungen habe ich noch
Hanne wohnt mit ihrem Kindelein im Gartenhaus nebenan. - Alles andere ist Unsinn und Gerede. - Aber Ihr sollt nun reden, damit der Hammer sich selber schlägt. " Das zweite Schriftstück erscheint 1921 als offener Brief im Zwiespruch. Hier wirft er Walter Hammer, geboren 1888 in Wuppertal-Elberfeld, Gerüchtemacherei vor. Sie kennen sich vom Treffen auf dem Hohen Meissner 1913. Aus der Jugendzeitschrift, die bereits im Kapitel Attacken der Zeitschrift Junge Menschen, erfährt der Leser: "Er [Walter Hammer] hat den jungen Menschen vorgelogen, auf Grund von Gerüchten, dass ich bis zum 1. Mai mehr als ein Kind hätte, er hat von mehreren unehelichen Kindern gesprochen und gesagt, dass ich herumvagabundiere. Er hat von mir die Wahrheit erfahren, dass im Herbst 1920 mir mein Klausjunge geboren wurde und im Maien 1921 mein Eschekindlein. Er hat alles verschwiegen und lässt den Zweifel weiter fressen, weil es ihm unangenehm ist, die Wahrheit zu sagen. ...." Diese Sichtweise setzt nicht durch. In der Gerüchteküche brodelt es weiter. Dafür sorgt das Naumburger Tugendwächter-Garderegiment. Immer wieder wurden die alten Liebes-Geschichten aufgewärmt, wie am 10. August 1928 in der Nordbayerische(n) Zeitung unter dem Titel:
Muck-Lamberty über Sexualität, Liebe und Ehe nach oben Im Februar 1921 muss die Neue Schar die Leuchtenburg verlassen. Nun fördert die deutsche, tschechische und österreichische Presse Delikates, Richtiges und Falsches, Aufregendes und noch mehr Banales aus dem Privatleben von Muck zu Tage. Wirklich interessant daran ist die sofort einsetzende Debatte in den Zeitschriften Junge Menschen, Die Tat oder Der Naturfreund. Muck`s Ideale und Auffassungen zu Sexualität, Liebe und Ehe sind nur spärlich in Schriftform überliefert. Abgesehen vom Verhör beim Ketzgericht (Diederichs) im Februar 1921 auf der Leuchtenburg, können wir darüber lediglich etwas von Gertrud Prellwitz (1920, 4f.) erfahren. Sie führte mit ihm Gespräche, die - "wie er mirs erzählte, in seiner unintellektuellen, erlebnisstarken Art" - in
niedergeschrieben. Ausserdem gewann sie, "in Muck-Lambertys Bannkreis Kenntnis von Briefen und Lebensdokumenten". "Ich war Kaufmann", vertraut er ihr an. "Da sah ich die grosse Not der Frauen, die an wesenslosen Männern litten. Und der Männer, die an Frauen gebunden waren, die ihnen nichts geben konnten. Wie kann man Kaufmann bleiben, wenn so grosse Not der Menschen sieht! Da gab ich meinen Beruf auf." Muck bedrückt die verbreitete Gottlosigkeit im Verhältnis von Mann und Frau. "Der Materialismus kann", gemäss seiner Überzeugung, nur "überwunden werden, wenn die Kinder in Heiligkeit gezeugt und geheiligt werden." Deshalb " . muss jetzt eine Zeit kommen, in der die Herrschaft der Dinge über das Leben der Menschen aufhört, und das Besitzrecht des einen über die Person des andern. Es muss jetzt eine Zeit kommen, in der die Menschen mit ganzer geheiligter Hingabe das Kind wollen und dem Kinde leben. Es muss jetzt ein Heldentum der Frauen kommen. Das Heldentum der Männer hat seine Hochflut gehabt und ist abgeebbt. Jedes reine Mädchen muss das Recht und die Pflicht fühlen, ein Kind zu empfangen von einem reinen, gesunden Manne, an den sie dann kein Besitzrecht beansprucht. Natürlich nicht von irgendeinem. Das Leben wird ja von Gott geführt. Es muss ein Ineinanderklingen sein, in Gottes Kraft." "Es ist das, was ich schaue, vielleicht nur eine Zeitnotwendigkeit, etwas was die Not der Zeit wenden soll. Die Zeugniskraft der Menschen ist [durch die Folgen des Krieges] so sehr knapp geworden. Es gibt so wenige reine, gesunde Männer, so viele mehr reine junge Mädchen. Wo soll es hinaus, wenn nicht ein Heldentum der Frauen einsetzt?" (Prellwitz 5) Im Unterschied zu vielen seiner Kritiker, begreift Muck die Ehe nicht als ökonomische und durch gegenseitige Besitzrechte geschützte Lebensform. "Wo Zwei für ihr Leben zusammengehören, sollen sie doch zusammenleben," vertraut er Gertrud Prellwitz (1921) an, "mit Standesamt oder ohne Standesamt, das ist gleich. Aber ihr Besitzrecht sollen sie aufgeben. Ein lebenslanges Besitzrecht über die Person des anderen ist noch viel verruchter als der Kapitalismus des Geldes." An Stelle der Besitzrechte setzt Muck die heilige Liebe und erklärt: "Was ich meine, hat nichts zu tun mit der freien Liebe der alten Welt, die um der Luft willen das ist. Liebe bei der das Kind nur als Folge aufgefasst wird, willkommen oder unwillkommen, ist nicht die heilige Liebe. Da hilft auch kein Priestersegen. Das Besitzrecht hilft schon gar nichts. Geheiligt ist die Liebe durch den Willen zum Kind." (Prellwitz 4 f.) Für den Erfinder der Neuen Schar baut sich die Mann-Frau Beziehung bis hin zur der bürgerlichen Ehe in einem ideellen Prozess auf, der von der heiligen Liebe geleitet und frei von gegenseitigen Besitzansprüchen sein soll. Dies vernachlässigt die ökonomische Seite, die Ehe als Wirtschaftsgemeinschaft, antworten seine Gegner. Die Kritiker verkennen, dass sein Selbstverständnis als Mann die Pflicht zur Treue und Sorge für (Ehe-)Frau und Kind umgreift. Er sagt wörtlich: Die Meister ".... müssen eine schützende Heimat um die jungen Mütter sein und sie müssen die Kinder versorgen." "Sie müssen wie liebende Familien um die Kinder sein." So kann man verstehen, warum er den gegen ihn vehement und öffentlich erhobenen Vorwurf der Verantwortungslosigkeit als ungerecht empfindet.
"Das Neue an Muck ist die Schaffung nicht der freien Liebe," erkennt Professor Johannes Resch (1921), "sondern
als der einzig möglichen wahren und lauteren Grundlage einer neuen Geschlechtsmoral." Muck "ist über die bürgerliche Moral gestrauchelt" (NF), konstatieren 1921 die Naturfreunde aus Jena. Ihm wurde oft vorgehalten, dass er die gesellschaftlich sanktionierten Grenzen der Sexualmoral überschritt. Zu Recht oder zu Unrecht, das sei hier dahingestellt. Nicht bedacht wurde dabei, dass ihm die Pseudomodernisierung der menschlichen Fortpflanzung durch Züchtung, was Rudolf Linke (1922) gegen ihn vorbringt, absolut widerstrebte. Unbeirrbar hält Muck daran fest:
Pfarrer Adam Ritzhaupt (1921, 22) aus Erfurt, der die Details des Leuchtenburg-Skandals gut überschaute, äusserte zu seiner moralischen Reichweite:
Mucks Tat, erschien den einen als neue Ethik, den anderen aber als Ruchlosigkeit, was denn Liebe und Ehe überhaupt seien." "Ich sah ihn kämpfen und schweigen, aufflammen und in tiefster Stille Weisung suchen", verteidigt Gertrud Prellwitz (1869-1942) den Anführer der Neuen Schar. "Ich erlebte die Höhenlagen seiner inneren Entscheidung." Ihre Schrift
ruft Emil Engelhardt (1887-1961), Teilnehmer an der Lauensteiner Tagung des Jungdeutschen Bundes im August 1919 und Organisator des Treffs für die Jungdeutsche Bewegung in Elgersburg, auf den Plan. Er bläst zum Gegenangriff: Nachdem Gertrud Prellwitz ihre ganze Kraft, Beredsamkeit und Schreibfähigkeit der Werbearbeit für Muck-Lamberty schenkt, ist es Pflicht für uns Andersdenkende, zum Besten der Jugendbewegung deutlich und unmissverständlich zu reden. Weil die Jugend geführt von dem unstillbaren Drang nach Wirklichkeit, kritisiert Engelhardt in
kollidiert seine Abwendung von der Realität mit ihrer natürlichen Bewegung. Was ist das für ein Führertum?, fragt er und antwortet:
Bereits in Kronach, behauptet Engelhardt, zeugte Muck mit zwei Mädchen ein Kind. Die ganz Sache gefällt ihm nicht. Deshalb kreuzt er mit der Lehre von der höheren, freien Liebe von Getrud Prellwitz eine scharfe Klinge und hält ihr vor:
Gertrud Prellwitz verteidigt Muck vom Standpunkt der heiligen Liebe. Anfang Februar [1920] bekam ich, erzählt die Schriftstellerin, von Käthe Kühl, die ich nicht kannte, eine Einladung, auf die Leuchtenburg zu kommen. Sie habe in freier Liebe mit Muck-Lamberty gelebt . Deshalb fühlt sie sich jetzt mit ihmverlobt. Den Besitzansprüchen der jungen Frau bringt Prellwitz kein Verständnis entgegen und reklamiert für ihren Klienten ein Recht, mit mehreren Frauen Kinder zeugen zu dürfen. Etwas konsterniert reagiert Emil Engelhardt (1921, 11):
Gertrud Prellwitz (7) kontert mit der subtilen Begründung: Es gibt zwei Höhenlagen der freien Liebe. Die niedere ist nicht zu rechtfertigen, sie ist Zuchtlosigkeit. Die höhere ist gerechtfertigt in sich, denn sie ist heilig in Gott. Muck-Lamberty lebt klar und lauter die höhere. Gegen diese religiöse Verbrämung sexueller Bedürfnisse rennt wiederum Engelhardt an. Unterstützung erhält am 26. August 1921 von Gerold von Friesland im Kampfblatt der rechten Bünde, dem Zwiespruch, der offen ausspricht:
Engelhardt (12) befürchtet, dass mit Muck die moralische Verluderung der Jugendbewegung heraufzieht und hält seiner Verteidigerin vor:
Wir wissen, daß es so mit der Jugendbewegung nicht werden darf, wenn sie nicht verrotten und ersticken soll im Wust der Formlosigkeit, der Zuchtlosigkeit und reinen Triebhaftigkeit, die Blutsturm für Geist nimmt. Der Streit um die höhere freie Liebe schadet Muck. Zumindest in Kreisen der bürgerlichen Jugendbewegung findet er Aufmerksamkeit. Nur war die Prellwitz in der Leserschaft der Zeitschrift Junge Menschen überhaupt nicht gelitten. Im August-Heft 1921 erscheint hier die Anzeige:
Oma war schon 52 Jahre alt. Schlimmer noch, sie hält weiter zum Führer der Neuen Schar. Stur erwidert sie am 26. August 1922 im Zwiespruch: "Gegen Muck kann und will ich nichts sagen". "Ich habe ihn in Jena sprechen gehört, in Eisenach kennengelernt und auf der Leuchtenburg aufgesucht." Fidus aus Woltersdorf bei Erkner, eigentlich Hugo Höppener (1868-1948), Künstler, Ikone der Lebensreformbewegung und Erschaffer des Lichtgebets, schaltet sich ein. In
bescheinigt er Emil Engelhardt und Gertrud Prellwitz, dass sie "auf hoher menschlicher Warte" stehen und "mit grosser, verstehender Liebe für das Sehnen und Drängen der Jugend" urteilen. Ihn stört aber die "schroffe Ablehnung" von Prellwitz. Wie Muck-Lamberty erfühlt der 53-jährige Maler, einst von Karl Wilhelm Diefenbach Fidus getauft, "ein allen Menschen als Gewissen ewiges Gesetz". "Christlichen Ehesitten" helfen uns da wenig. Sie sind "jedenfalls das Gegenteil von einem seelischen, also persönlichen Hochziel". Vielmehr gehört zum Empfinden und den Gefühlen der Ehe "eine Entwicklungshöhe der Eigennatur, die durch keine Lehre und Vorschriften geschaffen" werden kann. "Sittliche Zwangslagen und soziale Irrlehren" können dies behindern und "eigenes, unerfahrenes, tastendes Denken" erschweren, was oft in der Jugend der Fall. Als Fidus mit Frau Elsa in Zürich lebte, war er mit Gertrud Prellwitz zusammen und hatte mit ihr einen Sohn. Schwierige emotionale Lebenslagen waren ihm also nicht fremd. In Muck sieht er einen Menschen, dessen Lehre und Gewissen "von armen Trieben übermannt" wurde. Und doch begehrte Muck gegen die Ehe-Heuchelei auf und machte sich tiefe Gedanken über das Frauen-Elend. 1922 lobt ihn Rudolf Linke (Leipzig-Schleussig) im Essay Freie Liebe oder Zucht?. Muck vollbrachte die grosse Tat: "Die Schaffung einer neuen Volksgemeinschaft, die Versöhnung der Stände durch ein gemeinsames Freude-Erlebnis". Doch dann "geschah", dass es "unmöglich wurde, weil er mit mehreren Mädchen geschlechtlichen Umgang gehabt, sie zu Müttern gemacht hatte." Aber Muck kann nicht, argumentiert Linke, ein Lüstling, Wüstling, Heuchler oder Don Juan sein, und zugleich heilsam und segensreich Wirken, wie es die Anhänglichkeit der Kinder beweist. Woraus erwächst dann aber der Konflikt? Nach Ansicht des Verfassers, aus den seelischen Grundtrieben von Muck. Diese versetzen ihn in Widersprüche. Freie Liebe oder Zucht? fragt: War der Held vielleicht "ein Spätling jener Nietzsch`chen Übermenschen, denen erlaubt ist, was anderen versagt bleibt?" Oder ist sein Verhalten nur mit dem Rausch des Blutes zu entschuldigen, "der eine dämonische Macht, auch willensstarke Naturen sich unterwirft und natürliche Hemmungen der Scham ausschaltet"? Dann droht er in "Unzucht oder Zuchtlosigkeit" stecken zu bleiben. Folglich ist "ihm die Tiefe der Fragen, um die es sich dabei behandelt, gar nicht aufgegangen". Rudolf Linke lokalisiert die von Muck beschriebenen unglücklichmachenden Besitzrechte der Ehepartner und die heilige Liebe im "Grundcharakter des Deutschen", der sich gern nach Wolkenkuckucksheim zurückzieht. Andernfalls müsste man erkennen, dass Deutschland kein "rassenhaft germanisch bestimmtes Land" ist und "das Erlöschen des lichten Blutes bevor"-steht. "Die Zucht des Menschen", kann "niemals durch Individual-Auslese erreicht werden." Vielmehr bedarf es "der Gruppenauslese" mittels der Gemeindebildung als Methode. Dabei ist die Demokratie hinderlich, weil sie "antiselektorisch, auslesefeindlich" vorgeht. So versinkt Freie Liebe oder Zucht? in der Rassenideologie. Rudolf Linke kritisiert Muck vom Standpunkt der Rassenhygiene, weshalb der Untertitel des Aufsatzes Von Muck zu Mittgart lautet. Mittgart bezeichnet eine Stätte rassischer Hochzucht und den Titel einer Schrift von Willibald Hentschel (1858-1947), die erstmals 1904 erschien und die Pflege der rassischen Werte unseres Volkes zum Gegenstand macht. So erschliesst sich uns die humane Kraft des Muck`schen Grundsatzes Das Liebeserlebnis muss immer Gotteserlebnis sein. Das heisst: Gott führt, nicht die Gesetze der Züchtung.
Kampf um die Leuchtenburg nach oben Immer wieder zog es Muck zur Leuchtenburg.
"Am letzten Sonntag", r epetiert am 27. April 1922 die Naumburger Zeitung das Kahlaer Tageblatt, "besuchte Muck-Lamberty trotz seiner früheren Verweisung von der Leuchtenburg, diese wieder und hielt dort Reden. Sowohl der Burgwirt, als auch der Obmann der Jugendherberge, wurde Muck darauf aufmerksam gemacht, dass er die Burg verlassen müsse. Nur mit großer Mühe, und nachdem ihn noch ein Oberwachtmeister aus einem benachbarten Orte mehrmals dazu aufgefordert hatte, verliess er den Burghof; er soll sich aber vor der Burg noch den ganzen Nachmittag und Abend aufgehalten haben. Muck-Lamberty ist nämlich der Ansicht, daß die Leuchtenburg deutsches Eigentum ist und jeder Deutsche, trotz Verbot, die Burg betreten kann. Es wird stark vermutet, so schreibt das Kahlaer Tageblatt weiter, daß er mit seiner Schar versuchen wird, die Walpurgisnacht auf der Leuchtenburg zu stören. Auch die Grundbesitzer des Dohlensteins haben beschlossen, Ansammlungen von den Anhängern Mucks dort auf Grund und Boden nicht mehr zu dulden." Nun zeigt sich, wenn man sie denn sehen will, bald eine andere Seite der Geschehnisse um die Leuchtenburg. Bisher stand der Sündenfall im Mittelpunkt der Erzählung über die Neue Schar. Zu wenig beachtet wurde damals wie heute, dass die Gruppe Vorbild für eine gesunde und natürliche Lebensweise sein wollte. In seinen Reden prangert Muck den Alkoholmissbrauch der Jugend an. Das macht ihn bei den Trunkenbolden und Zechern, wie den trinkfreudigen Jenaer Studenten, nicht beliebt. Mehr noch, die Lebensart der Neuen Schar tangiert die kommerziellen Interessen der Wirte und Herbergseigner. Eine derart konsumtionsbewusste Jugend könnte ihre Umsätze gefährden. Nach dem Abschied der Schar von der Leuchtenburg übernachtete sie später wieder dort, ohne dass jemand etwas dagegen einwendete.
Aus Sorge um die wirtschaftliche Nutzung der Leuchtenburg wendet sich am 6. September 1922 der Stadtrat von Kahla mit folgendem Anliegen an das Thüringische Wirtschaftsministerium in Weimar:
Schliesslich will die Carl-Zeiss-Stiftung für die Jugendbewegung zusammen mit der Volkshochschule Jena die Jugendherberge übernehmen. Jedoch vermutet der Stadtrat von Kahla dahinter Muck-Lamberty. Die Stadt Kahla nimmt die Burg vom 1. Oktober 1922 bis 30. September 1928 selber in Pacht. "Den Anhängern Muck Lambertys und nahestehenden Gruppen", ermittelte Kurt Haufschild 1975 (24), "wurde der Aufenthalt auf der Burg von vornherein untersagt." Wirt Franz Sitte verweist Friedrich Muck-Lamberty am ersten Osterfeiertag 1925 erneut von der Burg .... Noch einmal sehen wir ihn am 8. und 9. Oktober 1932 beim Treffen der dreihundert Anhänger von Doktor Otto Strasser auf der Leuchtenburg ....
Die Werkgemeinschaft in Naumburg nach oben Bereits im Flugblatt von 1918 zur Deutschen Volksgemeinschaft fordert Muck die "Pflege der Heimindustrie auf genossenschaftlicher Grundlage und Bildung von Handwerker-Gemeinschaften mit Vertriebsstellen". "Eine solche Werksgemeinschaft habe ich selbst unter den schwierigsten Umständen mit jungen Menschen und Handwerkern aus allen Parteien ins Leben gerufen und ich bin noch dabei ihr die Form zu geben, die jetzt möglich ist", äussert er 1929 in Jugendbewegung, Handwerk und Volksfest (13). Dabei traf er in Naumburg auf ernste Hindernisse. "Staat und Behörden sind mir dabei nicht behilflich gewesen, da ich nicht Parteimann irgendeiner vorübergehenden Erscheinung war." (Ebenda) Die Wirtschaftskrise 1929/32 brachte weitere Erschwernisse. Aus Muck war inzwischen ein Unternehmer geworden. Weggefährten und bekannte Persönlichkeiten interessierten sich dafür, was aus ihm und seiner Handwerkergemeinschaft geworden ist. Heinrich Vogler und Theodor Plievier besuchten ihn in Naumburg (Linse 1983, 125). Später äusserte sich manch einer etwas enttäuscht über die Werksgemeinschaft. Natürlich war in der kommunalen Diktatur von Friedrich Uebelhoer und Bruno Radwitz kein Platz für Experimente und Sonderwege. Gemeinsam Leben und Arbeiten - gemeinsam verkaufen und gerecht verteilen, das scheiterte an den Realitäten. "Trotzdem zeigte er immer eine große Hilfsbereitschaft, wenn in seiner Umgebung Not am Mann war. Auch sei er sehr kinderlieb gewesen, wie immer wieder [in einem Gespräch mit Naumburger Bürgern, unter anderem mit Anni Voß und Gerhard Bier, über ihre Erinnerungen an Muck-Lamberty im Jahr 1994] betont wird. Trotzdem musste er in der Stadt lange um seine Anerkennung kämpfen." (Agthe) "Aber auch ein richtiggehender Eigenbrötler, soll er gewesen sein," so Kai Agthe nach einem Gespräch mit Naumburgern über ihre Erinnerungen an Friedrich Muck-Lamberty im Jahr 1994, "denn er lebte in seinem Haus am Holländer, wo er mit seiner großen Familie auch die FKK-Kultur gepflegt haben soll, zurückgezogen." "Ein Naturmensch war er, was sich schon äußerlich zeigte." Der Aufbau der Drechsler- und Tischlerwerkstatt in Naumburg war schwer, erforderte viel Elan und Kraft. Erst allmählich gehen die Geschäfte besser. Bald treiben drei Elektromotoren sechs Drehbänke an. Auf 41 000 Reichsmark beläuft sich immerhin der Jahresumsatz. Der Lohn der etwa zehn angestellten Handwerker liegt zwischen 20 bis 30 Reichsmark wöchentlich. Muck kümmert sich viel um die Werbung und den Absatz von Dosen, Leuchtern, Schalen, Bauklötzchen, Schmuckkästchen, Zierfiguren und kleinen Möbelstücken.
Wäre er vermögend, könnte er mehr investieren und die Produktion wahrscheinlich etwas schneller ausweiten. "Nach dem Geschäftsverkehr mit der hiesigen Sparkasse zu urteilen, geht das Geschäft offenbar vorzüglich", registriert die Polizeiverwaltung am 11. April 1927. Das Geschäftsgebaren schätzen die Behörden als solide ein. Er "gilt hier als eine fleissige und strebsame Persönlichkeit", vermerkt Bürgermeister Karl Roloff 1927. Inzwischen heiratete der Holzdreher Friedrich Lamberty am 7. April 1926 Frau Pauline Emilie Lenkeit, geboren am 2. August 1898 in Köln, gemeldet in Essen, Fischstraße 3. Gemeinsam ziehen sie fünf Kinder gross: Rüster geboren 1928, Dirk 1929, Jungfried 1933, Birke 1934 und Heide 1937. 1927 firmiert die Werkgemeinschaft junger Handwerker noch immer unter der Adresse Neidschützer Straße 27. 1930 zählt das Unternehmen 32 und 1933 immerhin 60 Mitarbeiter. Ihre Produktionsstätten befinden sich in der Kleinen Salzgasse und in der Kaserne an der Weißenfelser Straße. In den 30er und 40er Jahren befindet sich in einem Wohnhaus an der Ecke Schönburger Landstraße - Marienring (heute Theaterplatz) die Verkaufs-Ausstellung der Werkstätten für Heimkultur. 1934 ordert die Familie zu einem Mietpreis von 115 Reichsmark pro Monat das Landhaus Siebeneichen (Flemminger Weg 85).
Nach dem Krieg ziehen die Famile zum Freien Blick 22 (Speck 1995). Mit der Remilitarisierung Naumburgs müssen die Handwerker 1933 ihre Produktionsstätte in der Kaserne an der Weißenfelser Straße verlassen Mucks Werkstatt produziert dann in der ehemaligen Schneidersche Werkstätten - eine Möbelfabrik - am Domplatz 20 und in der Hindenburgstrasse weiter.
Bürgermeister Karl Roloff teilt am 12. September 1935 dem thüringischen Wirtschaftsminister mit:
1936 zählt die Firma etwa 80 Mitarbeiter und erzielt einen Jahresumsatz von 500 000 Reichsmark. Ausserdem beschäftigte sie 140 Heimgewerbetreibende. Die Werksgemeinschaft unterhält zu etwa 500 Geschäften und Abnehmern vertragliche Beziehungen oder zumindest verbindliche Kontakte. Während des Zweiten Weltkrieges liefert die Firma Bastelbedarf an die Kasernen in der Stadt. Im Oktober 1940 erhält Muck in Naumburg Besuch von seinem Bruder Paul Lamberty (geboren 1885). Er will, wie er auf der "Aufenthaltsanzeige eines Ausländers" angibt, den Betrieb seines Bruders kennen lernen und die Grundlage für den Verkaufsladen seiner Tochter schaffen.
Religiöse
Woche in Hildburghausen. Auf dem Nürnberger Parteitag (1929) entschied sich die NSDAP endgültig für die Hitlerjugend. Eine Organisationsform, die Muck ablehnt. Für die Hitler-NSDAP war er uninteressant, nicht aber für die Schwarze Front. Die Strasser Brüder, erzählt man in der Stadt, waren bei ihm in Siebeneichen (Naumburg), um seine Mitarbeit zu erwirken. Als Friedrich Uebelhoer 1937 mit der Werksgemeinschaft von Muck-Lamberty wegen der Namensgebung im Streit liegt, vergisst er nicht auf dessen früheren Verbindung zur Schwarzen Front hinzuweisen. Die Bezeichnung Schwarze Front benutzte Otto Strasser als Name für einen neuen Kreis aus der NSDAP ausgeschiedener Parteigenossen, die in der der Kampfgemeinschaft Revolutionärer Nationalsozialisten (KRNS) ihre Enttäuschung über die Verbonzung und Verbürgerlichung NSDAP therapieren. Zweitens war es eine Art Dachorganisation für eine Reihe von der Hitlerpartei skeptisch gegenüberstehende Gruppen. Drittens fanden sich hier Vertreter verschiedenster militanter Gruppen ein, darunter SA, Stahlhelm oder Rot Frontkämpferbund. (Paetel 220) Offenbar verägert darüber, dass auf seine Intervention zur Sozialistenverfolgung in der Partei vom 1. Juli 1930 aus der NSDAP-Reichsleitung München keine Antwort drang, setzte Otto Strasser am 4. Juli 1930 in alle Blätter des Kampf-Verlages den Aufruf:
Hierin spiegeln sich die Spannungen zwischen dem Münchner Flügel um Hitler und Rosenberg, der prowestlich, antirussisch und staatskapitalistisch-korporativ dachte, und dem sozialistischen, antiwestlichen norddeutschen Flügel. Die Partei, so lautet der Hauptvorwurf, verstößt gegen die Grundideen des Nationalsozialismus und besonders das 25-Punkte-Programn von 1920. Es sind im Wesentlichen folgende: Ablehnung des Interventionskrieges gegen die Sowjetunion, Unterstützung des Freiheitskampfes des indischen Volkes, Schaffung eines völkischen Grossdeutschlands, Bindung einer republikanischen Bewegung, Brechen des Besitzmonopols, Ablehnung jeder Kompromiss- und Koalitionstaktik und Kampf gegen die Verbürgerlichung und Verbonzung der Partei. (Schüddekopf 321 + 325) Der Aufruf erklärt die Notwendigkeit der Unterstützung der unterdrückten Völker. Die Legitimität dieses Handelns leiteten die revolutionären Nationasozialisten
ab. (Paetel 212 f.) Die Schwarze Front, referiert 1960 Wolfgang Abendroth (187) über ihre Tätigkeit, ".... bekämpfte besonders energisch die Kriegsvorbereitungen des Dritten Reiches und ihrer Machthaber." Damit stellt sich die Frage nach möglichen alternativen historischen Wegen. Das Argument der Marginalität sollte in der Geschichtsdebatte im Hinblick auf die revolutionären Nationalsozialisten, den Nationalbolschewismus und Nationalrevolutionäre nicht aufgerufen werden, denn sie wirkten durchaus in vielfältigen Verästelung und über politisch-kulturelle Denkweisen in die Geschichte Naumburgs und Umgebung hinein. Im September 1931 ruft Strasser die Kampfgemeinschaft revolutionären Nationalsozialisten (KRNS) ins Leben. Friedrich Muck-Lamberty wird am ersten I. Reichskongress der Kampfgemeinschaft revolutionärer Nationalsozialisten vom 26. bis 27. Oktober 1930 in Berlin und am III. KRNS-Kongress vom 7. bis 9. Oktober 1932 auf der Leuchtenburg bei Kahla teilnehmen. Die KRNS wird am 4. Februar 1933 verboten.
Die Religiöse Woche in Hildburghausen Die Vorbereitung der Religiösen Woche vom 19. bis 26. April 1930 liegt in den Händen von Otto George (Hildburghausen) und Max Schulze-Sölde (Haubinda, Thüringen). Ulrich Linse (1983,126) nennt sie den "letzten Aufmarsch der Heiligen", "ehe das Nazireich alle ihre Hoffnungen in eine dort recht anders geartete Wirklichkeit umsetzte."
Die Hildburghäuser-Tagung stellt die Synthese der deutschen Volksseele und die "reine Christusidee in den Mittelpunkt der deutschen Wiedergeburt" (Linse 145ff). Als Redner treten auf: Max Schulze-Sölde (Haubinda / Thüringen), Doktor Karl Strünckmann (Blankenburg / Harz), Georg Groh (Schweinfurth), Doktor Nikolaus Ehlen (Velbert), Pfarrer Rudolf Walbaum (Alzey, Rheinhessen), Maria Groener (Ulm), Paul Feltrin (Würzburg), Otto Sieber (Berlin) und Dora Kallmann (Darmstadt). Otto Paetel (Die Kommenden), der Pfingsten die Gruppe der Sozialrevolutionären Nationalisten (GSRN) gründen und eng mit Ernst Niekisch (1889-1967) zusammenarbeiten wird, kündigt mit Friedrich Muck-Lamberty (Naumburg) als Ko-Referenten im Programm einen Vortrag an. Im Mai 1930 lädt er ihn "zu einem Vortrag über Die Jungen und der heutige Staat nach Berlin ein; während des Aufenthaltes dort hatten er und Paetel Gelegenheit, im Reichstag mit Parteiführern zu sprechen...." (Linse 1983, 126) Auf die Teilnahme an der Hildburghäuser Tagung von Doktor Artur Dinter (1876-1948) legte Max Schulze-Sölde gesteigerten Wert, gehörte er doch, wie er im Brief an Friedrich Muck-Lamberty vom 5. Mai 1930 formuliert, zu ihnen. Er nimmt nicht teil, weil dessen finanziellen Forderungen nicht Genüge getan wurden.
Die Tagung beginnt Ostersonnabend mit einem feierlichen Orgelspiel in der Aula des Lehrer-Seminars Hildburghausen. Ihr Initiator Otto George (Hildburghausen) begrüsst alle. Bevor dann die Vorträge beginnen, gibt jeder der Anwesenden zum Auftakt einen Überblick über sein Leben. Aus ganz Deutschland waren Freireligiöse, Völkische, Nationalrevolutionäre, Esoteriker, Lebensreformer, Mystiker, Jungkatholiken, Anthroposophen, radikale Christen, Christsozialisten, Jugendbewegte, Kulturrevolutionäre und Sozialisten gekommen. Alle sind durchglüht von den Nöten der Zeit und bemüht, die Glaubenskrise zu überwinden.
Doktor Karl Strünckmann, 1921 Herausgeber Der Christliche Revolutionär (Bad Soden), Leiter eines Naturheilsanatoriums und Lebensreformer, hält den Festvortrag über den Weg von Blankenburg nach Hildburghausen. "Mit sechzehn war er überzeugter atheistischer Sozialdemokrat, bei Studienabschluss schwor er für immer den Alkohol und Nikotin ab, mit vierundzwanzig wurde er unter dem Einfluss Schopenhauer Buddhist, blieb aber weiter Sozialist." (Linse 1983, 91) Was auf der Biologischen Doppel-Woche im Harz an der Jahreswende von 1929/30 begann, will Doktor Karl Strünckmann in Hildburghausen fortsetzen. Nach 1918 änderte sich, so die politische Diagnose des Arztes, das Leben zusehends, doch das Wichtigste, das Religiöse, fehlt. Deutschland sieht der Festredner im Kraftfeld von vier Polen gelagert, den roten (Moskau), den schwarzen (Rom), den goldenen (Newyork) und den weissen (Indien, Ghandi). Die drei ersten üben einen unguten Einfluss aus, sie sind "die Scheren des einen kapitalistischen Skorpions", zitiert ihn Georg Groh (1930, 64) später. Nur die letzte Richtung verspricht Rettung. Deutschland soll zwischen Wallstreet und Geist einerseits sowie Westen und Moskau andererseits vermitteln.
Am Abend schnürt Otto George (Hildburghausen) das Themenpaket Nordische Glaube und nordische Sittlichkeit auf. Ihn betrübt der sittliche Verfall des Volkes und das Ringen der deutschen Seele mit einer ihr fremden Weltanschauung [dem Marxismus]. Der Mensch hat sich von Gott, der Natur und dem Gesetzbuch entfernt. Seine Selbstfindung und kulturellen Aufstieg verhindert der Individualismus, was das Christentum heraufbeschwor. Das blieb nicht unwidersprochen. Aber nicht Christus, der - so der Redner - kein Jude, sondern ein Arier war, soll im Mittelpunkt stehen. Gott gehört ins Zentrum. Das Endziel muss die Schaffung eines neuen Menschentyps sein, des deutschen, gotischen Menschen. Die sittliche Erneuerung des Volkes versteht der Referent als Rückbesinnung auf eine organisch, germanische Weltanschauung, die, wie es ein Rezensent nennt, Germanisierung der Weltanschauung. Manchmal fiel er in ein zu starkes Pathos, "aber die Echtheit seiner Gesinnung und die Redlichkeit seines Herzens hinterließen einen starken Eindruck." (Schulze-Sölde 1930)
Um niemanden im Kirchgang zu tören, begann die Tagung am Sonntag erst um die Mittagszeit. Vor einem Kreis von dreißig bis vierzig Leuten spricht Georg Groh (Schweinfurt). Er lenkte die "Aufmerksamkeit auf den unheilvollen Wahn, dass das Christentum, es sei gestaltet, wie nur immer, unsre heidnische Religion übertreffe" (Groh 1930). Er schilderte "unter welcher niederträchtigen Vergewaltigung unsren Vätern das Christentum aufgezwungen wurde." "Seine Worte waren", so stellt es Max Schulze-Sölde nach der Tagung im Brief an Doktor Karl Strünkmann dar, "ein einziger flammender Prost gegen alles das, was den Germanen in der bisherigen Form des Christentums aufgezwungen sei." Die "Ausmerzung des jüdischen Gesetzessystems aus der schriftlichen Religion" hält Georg Groh für "unfruchtbar". "Denn immer wird das System übrig bleiben, das nicht jüdisch, sondern arisch ist, aber ohne den jüdischen Unterbau haltlos in der Luft schwebt". Im Rückblick (1930) auf den Vortrag vermerkt er: "Den Eindruck, den meine Worte hinterliessen, wurde von dem bekannten Jugendführer Muck-Lamberty kurz, aber in einer für mich vollauf befriedigenden Weise dargestellt." Man gab Groh in der Diskussion "vor allem zu bedenken, dass Christus doch kein Jude gewesen sei!" (Nach Groh 1930) Dann wühlte Schulze-Sölde die Gemüter auf, als er fragte: "Wie stellt Ihr Euch zu Christus?" Alle freuten sich, als die Pause begann. Nachmittags nahm die Aussprache nicht richtig Tempo auf. "Die Herzen waren noch nicht aufeinander eingespielt und die Auseinandersetzungen vom zersetzenden Intellekt beherrscht." (Schulze-Sölde)
Am zweiten Konferenztag (Montag) wartet Doktor Nikolaus Ehlen (1886-1965) aus Velbert mit der katholischen Vor-Idee auf. Die Bänke im grossen Tagungsraum wurden im Kreis aufgestellt und die Luft des Individualismus herausgetreten. Seine Persönlichkeit beherrschte den Ostermontag, verzeichnet Schulze-Sölde im Brief an Karl Strünkmann. Der Pionier des Selbsthilfe-Siedlungsbaus bringt die Erfahrung des Kosmischen ins Spiel. Sie führt uns vor Augen, dass die Welt nicht vollkommen ist. Es leidet der Mensch unter dem Riss zwischen Ideal und Sein. "So war denn die seelische Lage an diesem Morgen genau umgekehrt wie am gestrigen Abend. War gestern die Seele des katholischen Menschen erschüttert worden durch die Glut des heldischen Protestantismus, so wirkte am heutigen Morgen die zeugende Kraft der katholischen Uridee ...." "Die Aussprache am Abend, die besonders lebendig wurde durch das häufige eingreifen Muck-Lambertys, brachte gewiss noch vieles Anregendes und Vertiefendes, konnte aber naturgemäss die am Morgen erreicht Höhe nicht erreichen." (Schulze-Sölde 1930)
Czepuk aus Breslau von der Arbeitsgemeinschaft vom 18. August bringt seinen Unwillen über die Wolkenschieberei auf dieser Tagung zum Ausdruck und reist, ohne Abschied zu nehmen, aus Protest am Morgen des dritten Tages ab. Dienstag tritt Maria Groener aus Ulm mit dem Thema indisches Weistum in die Aula. Im schlichten weissen Kleid philosophiert sie über das Verhältnis des Menschen zu sich selbst, die Reform der Geschlechterbeziehung und die Neugestaltung der Beziehung zu Gott. Sie rudert in den Strömungen des katholischen und indisch-protestantischen Denkens umher. "Also: Kein Umsturz keine Gewaltmassnahme nach irgendeiner Seite", zieht der Hildburghäuser-Kreisanzeiger nach dem dritten Tag Bilanz. "Das Streben aber geht dahin zu versuchen, tiefste Gegensätze bestehender Religionen, die heute teilweise unüberbrückbar erscheinen, zu beseitigen, um schließlich reinen konfessionellen Weltfrieden zu erreichen."
Am Mittwoch präsentiert Feuerkopf Paul Feltrin aus Würzburg seine Vorstellungen zum Thema Bolschewismus oder Christentum. Der 22-jährige ist der Sprecher der von Ritus Heller gegründeten Christlich-Sozialen Reichspartei. Russland kennt er aus eigener Anschauung. Den Bolschewismus liegt ein religiöses Geschehen zugrunde. Hinter dessen Blutopfern und Vergewaltigungen, erblickt er jene Kraft, die das Böse wollen muss, um das Gute zu schaffen. Unter dem Eindruck der "unerhörten Kraft" der Worte, sah Max Schulze-Sölde wie Schwarz und Weiss zu einer Einheit verschmolzen. Als der Redner geendet, ging er auf ihn zu und umarmte ihn. "Auf ähnlichem Boden bewegten sich die Darstellungen, die Muck-Lamberty, Frau Gertrud Bolm, Braunschweig, und George machten", expliziert ein Tagungsbericht zur Diskussion um Feltrin.
Über die Äusserungen von Muck bietet der Brief von Max Schulze-Sölde an Doktor Karl Strünckmann mehr Aufschluss. "In höchster Erregung sprang er auf," heisst es da, "und die Worte sprudelten nur so aus ihm heraus: `wenn heute der Bolschewismus sich ins Positiv-Schöpferische verwandele, so verdanke man das der unverwüstlichen Urkraft des russischen Volkes, nicht aber dem Bolschewismus selber. Wir Deutschen müssten unsere Rettung ganz allein im eignen Volkstum suchen und müssten uns hüten, die revolutionäre Methoden eines anderen Volkes auf uns zu übertragen.`" Das steht aber in keinerlei Gegensatz zu Paul Veltrin, betont Max Schulze-Sölde. "Die Gemüter der Disputanten kamen so stark in Erregung, dass die Tagung erstmal unterbrochen werden musste, um dann am Nachmittag fortgeführt zu werden." Rudolf Walbaum (1869-1948), Prediger der Religionsgemeinschaft Freier Protestanten in Alzey (Rheinhessen), definiert nach der Mittagspause in der Diskussion den Bolschewismus "als russisch-slawische Form einer Diktatur des Proletariats, die Gewaltanwendung zur Erreichung kommunistischer Ziele" einsetzt. "Der politische Bolschewismus mitsamt seiner religionsfeindlichen Auswirkung bedroht von Osten her unser ihm innerlich fremdes Vaterland ." Aber " . wer das Schwert nimmt, soll durch das Schwert umkommen." In Deutschland bringt der Bolschewismus nur Chaos. Deshalb brauchen wir, sagt der protestantische Pfarrer, keine Revolution, sondern einen glühenden Kampf für wirkliche politische Reformen. Walbaum sprach vom konfessionellen Bolschewismus, der ebenso gefährlich ist wie der politische Bolschewismus.
6 Uhr abends laden die Organisatoren der Tagung die Armen, Alten und Arbeitslosen der Stadt in den Schützenhof ein. Max Schulze-Sölde spricht einfühlsame Worte, dann reichen Frauen und junge Menschen Speisen und Trank. Auf der Bühne kommt ein Märchenspiel zur Aufführung. Das Programm kündigte ursprünglich Muck zusammen mit dem Herausgeber der Zeitschrift Die Kommenden Ernst Otto Paetel für den Donnerstag zum Thema Das Wollen der Jugend an. Unglücklicherweise gab zu dieser Zeit in der Volkshochschule Gottfried Haaß-Berkow (1888-1957) den ersten Teil von Goethes Faust'. Um ein Zusammenfallen mit dem Gastspiel zu vermeiden, spricht Muck bereits am Mittwochabend. Vor vollgefüllter Seminaraula. "Der Redner," beobachtete das Hildburghäuser Kreisblatt, "der auf Wunsch der hiesigen Jugend redete, war an seinem Abend kaum wieder zu erkennen."
berichtet Max Schulze-Sölde (6), "um den im Thüringerlande überall bekannten Jugendführer zu hören. .... Seiner sprühenden Lebendigkeit und seinem volkstümlichen Humor gelang es sehr schnell, sich die Herzen zu erobern." "Während er sonst der scharfe Denker und Logiker war, stand er jetzt fest vor uns als Jugendführer der Gegenwart." Muck sprach über die Aufgaben der Jugendbewegung gegenüber Volk, Staat und Gesellschaft. Mit Humor und gewürzter Kritik nahm er sich den "alten Menschen" vor und stellte ihn den "werdenden und kommenden neuen Menschen" gegenüber. Die bestehende gefährliche Lage des deutschen Volkes kann nur durch eine Wandlung der Lebensauffassung und Lebensführung erreicht werden. Deshalb muss sich die Jugend freimachen von alten Konventionen und Uniformierung. Den "neuen deutschen Staat", so seine Vorstellung, soll ein gesundes und natürliches Jugendleben durchfluten. Keinesfalls darf sich die Jugend durch ihn vereinnahmen lassen. Sie muss ihren eigenen Weg gehen." Muck wird mit den Worten zitiert, "dass die Jugendbewegung ein kosmischer Einbruch in die Welt sei und einen Heilungsprozess wolle." Temperamentvoll legte er seine zum Teil verständlichen, zum Teil seltsamen Anschauungen über Kirche, Staat und Parteienwesen dar ", textet die Dorfzeitung am 25. April 1930. Egoismus, Stoffglauben und Materialismus ziehen den Zorn von Muck auf sich. Zurück zum Geist, heisst das Gebot der Stunde. Mit Skizzen untermauerte er die Losung Zurück zur Natur. Zuvor hatte er schon mit Kreide und Tafel eine Persönlichkeitssymbolik entworfen. Wie schon andere Redner, rief er nach dem neuen Menschen. Seine Rede bezeichnet das Hildburghäuser Kreisblatt als Erfolg. In der anschliessenden Diskussion unterstützten ihn Schulze-Sölde, Feltrin und Gertrud Bolm. Allerdings kritisierte Gertrud Bolm "in etwas schulmeisterischer Weise" (Schulze-Sölde 6) die anwesende Jugend. Diese war ihrer Meinung zu autoritätsgläubig. Sie sollte lieber selber aufstehen und das Ihrige sagen. Da rief Henry Joseph dazwischen: Das könnte man in Berlin sagen, hier holt man sie dafür vom Podium herunter. "Da sprang Paul Veltrin vor, schob mit den Worten `nun, dann werde ich es tun!` Gertrud Bolm unsanft beiseite und strahlte noch einmal die Glut seiner Feuerseele in die staunend aufhorchende Menge hinein."
Die örtliche Presse bescheinigt Muck, eine ausserordentlich urwüchsige und humorvolle Rede gehalten zu haben. Jedoch warten wir auf einen Aufruf zur Mobilisierung der Jugend gegen den Nationalsozialismus vergeblich. Die Dorfzeitung Hildburghausen meint, dass er " . dem Nationalsozialismus die meisten Aussichten auf die Errettung des deutschen Volkes vor oder aus dem drohenden Chaos" (25.4.1930) gibt. Am Donnerstag, den fünften Tag, spricht Ernst Otto Paetel, einer der exponiertesten Akteure der Schwarzen Front, Leiter der Gruppe Sozialrevolutionärer Nationalsozialisten (GSR). Es scheint, als wenn der Hauptschriftführer Die Kommenden die Tagung zum Testfeld seiner Ideen macht. Zunächst erläutert Paetel den Inhalt und die Ziele der Deutsche Revolution. Sie richtet sich gegen die Unterstützung der restaurativen und reaktionären Bestrebungen des deutschen Grosskapitals durch die Hitler-NSDAP und die Politik der Präsidialkabinette Brüning, Papen und Schleicher (vgl. Abendroth 184). Den Zeitpunkt für einen national-sozialen Umsturz hält Paetel für nicht gekommen, denn noch stehen die schwarzen Fahnen der Völkischen, denen der Roten heimatlos gewordenen Arbeiter gegenüber. Er wirbt für die freie Nation, den Kampf gegen den Versailler Vertrag und einen Sozialismus als Gemeinschaft aller Deutschen. Otto Strasser war sogar bereit mit der Sowjetunion auf Basis der Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts den Kampf gegen die imperialistischen Mächte zu führen (vgl. Abendroth 182). Muck-Lamberty insistiert immer wieder auf das Heilwerden, sah aber nicht, "dass es in der Staatskunst allein auf das Erkennen von Tatsachen ankommt" (Schulze-Sölde 7). "Die Gemüter gerieten in Siedehitze", als die Frage aufgeworfen, ob eines Tages das Proletariat marschieren werde. Pfarrer Pauli verwies im Gegensatz "zu unserem Standpunkt" (Schulze-Sölde) darauf hin, dass Luther recht gehabt, wenn er den aufständischen Bauern gegenüber verlangte: `Schlagt sie tot wie tolle Hunde!" "Zum Schluss verstieg er sich sogar zum allgemeinen Entsetzen zu der im Munde eines christlichen Pfarrers ungeheuerlichen Erklärung: ' . und wenn das Proletariat marschieren sollte, bin ich der erste der schiesst!'" Am Nachmittag referierte dann "Freund" (Schulze-Sölde) Rudolf Sieber aus Berlin über den Okkultismus. Anschliessend sprach man über das Karma und die Wiederverkörperung. Viele schauen am Abend die Faust-Inszenierung, der "zufällig" in Hildburghausen weilenden Haaß-Berkow-Truppe, in der Johannes Zaddach mit seiner Mephisto-Darstellung beeindruckt. Der letzte Tag, Freitag, sollte der schwerste werden. "Neben den Frauen" [Dora Kallmann und Maria Groener], registriert der Tagungsbericht vom 26. April 1930, "sprachen Schulze-Sölde, Muck-Lamberty und der Naturapostel Gustav Gräser."
Referentin Dora Kallmann aus Darmstadt drückt ihre Sorge aus, dass Deutschland im Mittelpunkt zwischen Amerikanismus und Bolschewismus, westlicher und östlicher Kultur, zwischen Rom und Germanentum zerrissen wird. Deutschland wächst die schwere Aufgabe zu, das Neue zu gebären. Muck zwang mit seiner "ungestümen Art" (Schulze-Sölde), die Rednerin immer tiefer zu schürfen. Referentin Gertrud Bolm versuchte den Geist aus sich sprechen zulassen, übermittelt Schulze-Sölde, "aber es war nur ein stammeln". "Dann kam endlich Gusto Gräser zu Wort. Ich hatte es in den vergangenen Zagen nicht fertig gebracht," gesteht Max Schulze Sölde, "ihn, den Einsamen, den ganz und gar in sein Ich und seine Traumwelt Versponnenen, einzubauen in den Rahmen unserer Tagung. Er fühlte sich deshalb ständig von mir zurückgesetzt. Nun aber hatte sich nach einer gründlichen Aussprache an Nachmittage alles glücklich gelöst, so dass er am Abend wunderschön in dichterischen Worte und Gleichnissen zu uns zu sprechen vermochte." Maria Groener doziert über Mütter und Helden. "Nur dem heldischen Manne sollen die Frauen Herz und Hand schenken." Dora Kallmann schloss mit einem Überblick und dankte allen Beteiligten. Eigentlich sollte hier Schluss ein, übergab aber den Männern noch einmal das Wort. " Und so stand denn Muck nochmals vor uns und sprach von dem neuen deutschen Dom, an dem wir alle zu bauen hätten, und er erst im Geiste errichtet werden müsste, bevor er im Stoffe dastehen könne." (Schulze-Sölde 8) Zum Abschluss der Tagung tritt der Hauptschriftführer Otto George (Hildburghausen) auf. "Der Plan, den die Veranstalter der religiösen Woche hatten," resümiert das Hildburghäuser Kreisblatt, "den Versuch der Sammlung und Einigung zu machen, ist restlos geglückt." Hingegen war Georg Groh (1930) mit der Hildburghäuser-Tagung gänzlich unzufrieden, weil er "erleben musste, das Christus den Gott in unsren Herzen in den allerletzten Winkel zurückdrängt, ja dass er uns Gott tatsächlich entfremdet". Deshalb "war eine offene und entschiedene Ablehnung heilige Pflicht! - Die Einberufer der Religiösen Woche liessen eine religiöse Festigung leider so sehr vermissen." Zum Abend sitzen alle in einer großen Versammlung beieinander. "Einige der schönsten stellen des Tacitus über die germanische Frau gaben den würdigen Auftakt." (Schulze-Sölde 8) Wahrscheinlich sollte Friedrich Muck-Lamberty, so kann man das Geschehen um die Religiöse Woche interpretieren, als Jugendführer reaktiviert werden. In Reaktion auf seine Vortrag traten starke Interferenzen auf. Sichtbar wurden Schwachstellen im politischen Denken und erhebliche Unklarheiten. Diese finden parallel ebenso im Schriftgut, zum Beispiel im Brief vom 23. Mai 1930 an Karl Otto Paetel in Berlin-Charlottenburg. Sein Verfasser neigt zur anthropologischen und romantisierenden Deutung des Nationalsozialismus, was dessen Brutalität und antidemokratisches Wesen verdeckt. An Henry Joseph teilt er 1929 mit: "Die selbstlosen Ideen der Liebe und der Gemeinschaft entwaffnen jeden Gegner, auch den rabiatesten N.S.D.A.P.-Mann. Deutsche Belange sind doch keine Begriffe, die in Worten liegen, sondern die nächsten Dinge die getan werden müssen."
Reichskongress der Kampfgemeinschaft Strasser Am 26. und 27. Oktober 1930 findet im Alten Askanier in Berlin der erste Reichskongress der Kampfgemeinschaft Strassers statt. Anwesend sind 33 Delegierte, davon 8 aus Berlin. Insgesamt zählt man 70 bis 250 Teilnehmer, darunter als Gast Ernst Niekisch und Friedrich Muck-Lamberty. Es werden 14 Thesen zur deutschen Revolution als grundsätzliches Manifest und Aktionsprogramm der Bewegung angenommen. (Schüddekopf 329)
KRNS - Schwarze Front - Leuchtenburgkreis Otto Strasser veröffentlicht am 4. Juli 1930 in allen Blättern des Kampf-Verlages den Aufruf
Unter den Namen Otto Strasser reihen sich viele andere, zum Beispiel von Major Bruno Ernst Buchrucker, Anführer des Küstriner Putsches, oder vom Schriftsteller und linken Nationalsozialisten Herbert Blanck. Der Aufruf ist eine Art Parteiprogramm, dessen Inhalt eingangs des Kapitels schon erläutert wurde und bedeutet den Bruch mit der Hitler-Partei. Er enthält ein republikanisches Bekenntnis, das sich abgrenzt vom "republikanisch-monarchistischen Halbdunkel" und der "übersteigerten Verehrung für den faschistischen Obrigkeitsstaat". Die Schwarze Front versuchte die verschiedenen oppositionellen Gruppen zu Hitler zusammenzuführen. Sie ".... bekämpfte zwar konsequent die Politik der Präsidialkabinette Brüning, Papen und Schleicher. Ihr gewichtigstes Anliegen war es jedoch, die Errichtung einer Diktatur Adolf Hitlers, die im Bündnis mit dem deutschen Großkapital stehen würde, zu verhindern", erklärt 1960 (184) Wolfgang Abendroth. "Die Schwarze Front versuchte deshalb immer wieder, zunächst alle kleineren nationalistischen Gruppen und politisch aktiven Gruppen der freien Jugendbewegung, dann aber auch weit darüber hinaus alle sozialistischen und demokratischen Kreise zu einer Einheitsfront gegen den Nationalsozialismus Adolf Hitlers zu sammeln. So gelangte sie im Herbst 1932 auf der durch sie einberufenen Leuchtenburg-Tagung zu der Losung, zur Rettung Deutschlands in der Krise ein Revolutionskabinett zu fordern, in dem der Reichsbannerführer Höltermann, der frühere sozialdemokratische Innenminister Severing, der sich zur KPD bekennende frühere Reichswehrleutnant Scheringer und Gregor Strasser sitzen sollten." Und zur nationalen Befreiung Deutschlands könnte man sogar, dachten Moeller van den Bruck, Karl Radeck, Karl O. Paetel, Ernst Graf zu Reventlow, vielleicht auch Friedrich Muck-Lamberty, mit den Kommunisten gemeinsamen ein Stück des Weges zurücklegen. Es lag im Sinne der Querfrontidee, dass der Leuchtenburg-Kreis Verbindungen, Möglichkeiten und die eigene politische Linienführung zu den bündnisinteressierten und oppositionellen Gruppen in der NSDAP auslotete. Hieran bekunden zumindest Fritz Borinski und Otto Strasser Interesse. So trafen sich die Mitarbeiter der "Neuen Blätter für den Sozialismus" und der "Schwarzen Front" im September `32 in Onkel Toms Hütte (Berlin). Vom
tagt auf der Leuchtenburg bei Kahla die Kampfgemeinschaft revolutionärer Nationalsozialisten (KRNS). Daran nehmen Vertreter von 140 Ortsgruppen der NSDAP, SPD, KPD, Jungendorganisationen, Vertreter von Wehrwolf, Oberland, der Leuchtenburgring, Tat-Kreis und Beobachter der Zeitschrift "Der Gegner" teil. Mit ihnen diskutieren Persönlichkeiten wie Walter Meyer, Adolf Reichwein, Fritz Borinski und weitere KPD- und SPD-Mitglieder. Auszüge aus der Diskussion wurden in der Broschüre Mit oder gegen Marx zur Deutschen Nation? veröffentlicht. Etwa 300 Personen reisten zur Leuchtenburg an. Es herrschte ein derber Ton, gute Kameradschaft und ein forscher Geist (Borinski). Manchmal zu forsch, könnte man meinen, wenn man die Nachrichten des Wiener Abends vom 19. Oktober 1932 ließt. Hiernach geriet Rudolf Hager von der Wiener Reichsleitung der Revolutionären Nationalsozialisten auf der Burg mit Otto Strasser über die Frage der "Deutschen Nationalkommune" in Streit, wovon beide erhebliche körperliche Verletzungen davon trugen. "Gäste aus verschiedenen national-revolutionären Verbänden und Gruppen waren gekommen und sprachen Grussworte die mit rauer Zustimmung aufgenommen wurden," erinnert sich Fritz Borinski in Zur Geschichte des Leuchtenburg (66), "während draussen auf dem Burghof der legendenumwobene Friedrich Muck-Lamberty in einem Kreis überzeugter Kommunisten diskutierte - wie vor 10 Jahren - stundenlang und unermüdlich." Samstagnachmittag erstattete nach dem Apell und der Fahnenweihe Otto Strasser den Bericht über die Tätigkeit der KRNS, in dem er sich scharf von der Hitler-NSDAP absetzte. Dann sprachen Fritz Borinski von der SPD Leipzig und Richard Schapke von der Schlesischen Bauernbewegung Schwarze Fahne. Sonntagabend legte Otto Strasser in einer Rede die Ziele der Schwarzen Front dar. Er spricht über deren Einheit, die er durch Gottesglauben und die völkische Idee gesichert glaubt, die wirtschaftliche Nationenwerdung und Gemeinschaftsbildung im deutschen Sozialismus. Als Höherpunkt forderte er die Bildung eines Revolutionskabinetts mit Gregor Strasser, Ernst Graf zu Reventlow (1869-1943), Karl Höltermann (1894-1955) von der SPD, stellvertretender Vorsitzender des Reichsbanners, Carl Severing (1875-1952), SPD, 1920 bis 1926 Innenminister von Preußen, und Leutnant Richard Scheringer (1904-1986), der sich am 18. März 1931 in aufsehenerrender Weise zu den Zielen der KPD bekannte. Insgesamt hält Friedrich Muck-Lamberty gegenüber dem Nationalsozialismus kritische Distanz. "Er setzte auf elitäre Gemeinschaften, nicht auf die blosse Zahl," deutet Ulrich Linse 1983 in Barfüssige Propheten (127) den Gegensatz zur nationalsozialistischen Ideologie an. Fürwahr, Muck wollte von der Organisation der Jugend in Vereinen und Bünden nicht viel wissen. "Ich bin Gegner des Massenzusammenschlusses der Jugend", bekennt er 1913 in Neuland in Sicht. Dabei blieb es Zeit seines Lebens. Ihm war die militärische Formierung und politische Gleichschaltung der Jugendbewegung zuwider. Nicht von ungefähr beklagt der nachmalige Reichsjugendführer Baldur von Schirach 1931, worauf Walter Laqueur (1978, 86) hinweist, dass in der Jugendbewegung "feige und egoistische Menschen" erzogen würden, die "Hirngespinste" jagten. Ein Vorwurf, der sich an Bewegungen und Gruppen wie die Neue Schar richtete. Muck "kritisiert die nationalsozialistische Gleichschaltungspolitik gegenüber den Artamanen, deren - auf seine Weise höchst fragwürdigem Idealismus - (Landarbeit und Siedlung im deutschen Osten) er mehr zutraute als den blossen "Anti-Worten" der Nationalsozialisten". Wenn aber eine Mitarbeit der besten Jugend dieser "neuen Front der Lebendigen" am staatlichen Aufbauwerk von der NSDAP nicht möglich werde, dann - so Muck in seinem Brief an Reventlow - bewahre man besser "die innere Sauberkeit durch Distanz"". "Gemäss dieser Parole blieb der völkische Muck", folgert Ulrich Linse (1983, 127), "auch nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten Nonkonformist." Hieran schliesst nahtlos an, was Sohn Jungfried Lamberty 1995 gegenüber den bekannten Journalisten der Mitteldeutschen Zeitung Hans-Dieter Speck (1938-2015) äussert: "Mit den Nationalsozialisten hat Muck allerdings nichts im Sinne. Er bewahrte die innere Sauberkeit durch Distanz, wie er in einem Brief bekannte. Sein Sohn erinnert sich an einen Auftritt seines Vaters während einer der nationalsozialistischen Arbeitsparaden zum 1. Mai. Während die Innungen Zunftzeichen vorantrugen, erschien Muck mit einem grossen geschnitzten Kasperkopf auf einer Stange und erinnerte an das Goethe-Wort, wer sich nicht selbst zum Besten halten kann, gehöre gewiss nicht zu den Besten."
Im Netz subtiler Repressionen nach oben Als der Führer der Deutschen Arbeitsfront, Robert Ley (1890-1945), daran ging, die Werkschar zu gründen, war Muck-Lambertys Kollision mit den Nationalsozialisten absehbar. Der Werksgemeinschaft, erläutert der Naumburger NSDAP-Vorturner im Brief vom 12. Oktober 1937 an den Regierungspräsidenten, liegt das in jeder Beziehung unklare Gedankengut Lamberty-Mucks zugrunde, wie es sich bereits aus dem von ihm beigefügten Flugblatt Deutsche Volksgemeinschaft ergibt. Der NSDAP-Kreisleiter hält es nicht für notwendig, ihm die Firmenbezeichnung Werkschar und Werksgemeinschaft endgültig zu untersagen. Aber er setzt sich dafür ein, dass der Kunsthandwerker
soll. Die Ortspolizeibehörde und Stadtverwaltung, der Parteiapparat der NSDAP und die Gerichte arbeiten bei der Beobachtung, Kontrolle und politischen Verfolgung auffälliger Bürger in der Kommune eng zusammen. Leider sind
unter den Gefolgschaftsmitgliedern
Und weiter heisst es:
Martin Schmidt, Geschäftsführer der NSDAP-Kreisleitung, befundet Muck-Lamberty am 25. September 1937:
Der Naumburger Kunsthandwerker und Unternehmer Friedrich Muck-Lamberty wird also von den Nazis nicht gelitten. Sie stellen ihn unter Beobachtung. Dabei geht es bei weitem nicht allein um die Tätigkeit als Geschäftsmann und Handwerker. Argwöhnisch schaut man vor allem auf seine privaten Angelegenheiten. Ein um das andere Mal werden über ihn anmaßende Urteile vom Standpunkt des NSDAP-Menschentums und -Führerkults getroffen. Die Nazis untersuchen seine Geschäftsverbindungen und überprüfen die Bonität. Ebenso beobachtet man misstrauisch die Einstellungspolitik. Alle Neuen werden durchleuchtet. Bewusst setzt man die alten Geschichten und Legenden, mal mehr und mal weniger genau, in Umlauf. Seiner Reputation in Naumburg ist dies nicht unbedingt zuträglich und belastet sicherlich die Familie. Die Nazis sehen in ihm keinen Mitstreiter, weshalb sie seine Geschäfte nicht unterstützen. Damit nicht genug, ruft Uebelhoer 1937 zu einem staatlichen Boykott gegen die Waren aus den Werkstätten auf. Friedrich Muck-Lamberty stellt in seinem Unternehmen politisch Verfolgte und Außenseiter ein, was hoch anzuerkennen ist.
Schnüffeleien Während der Naumburger Jahre stecken viele Neugierige in ziemlich unsittlicher Weise ihre Nase in die Privatangelegenheiten des Kunsthandwerkers. Am 5. Mai 1922 wendet sich der Reichsjugendring aus Hellerau (Dresden) an die Naumburger Polizei. Der lässt Wissen, dass er "ohne unser Wollen von der [Leuchten-] Burg durch die Polizei verwiesen" wurde. Dann teilt er sein Anliegen mit: ".... von Seiten des Polizisten und verschied. anderen Herren" fiel "die Aussage, dass Muck-Lamperty auch in Naumburg noch verschiedene Mädchen verführt und weitere Kinder hätte. U. a. wurde behauptet, dass ein 16-jähriges Mädchen mit in Frage käme. Da nun Muck Lamperty unter der Jugend eine große Rolle spielt und wir unbedingt die Wahrheit wissen müssen, erlauben wir uns die Bitte um Auskunft über das der Polizei in Naumburg bekannte Verhalten Muck Lamperty." Die Psychiatrische
Universitäts-Klinik Jena unter Leitung des berühmten Professor
Hans Berger (1873-1941), bittet am 2. Juni 1922 den Oberbürgermeister
der Stadt Naumburg um Einsicht in die Akten des Jugendführers. Es
ist der vielleicht heimtückischste Versuch Muck zu deklassieren.
Die Psychiatrisierung seiner Persönlichkeit lag ganz auf der Linie
von Walter Hammer, der wortreich darlegt, Muck sei nur noch "pathologisch
zu deuten". Vielleicht war d a s s o
nicht gemeint. Indessen demonstriert es, wie unangemessen die Kritik an
Muck bisweilen ausfiel. Was ist der Grund für den Zorn seiner Gegner,
fragte einmal Lisa Tetzner (1921, 773). Vielleicht das "unproduktive
Leben", das er predigt? Am 15. Dezember 1925
meldet sich die Mutter von Walter Mohr aus Bochum bei der Kriminal-Abteilung
der Polizei Naumburg. Ihr Sohn, geboren am 2. Mai 1907, bereitet ihr Sorgen.
Er hält sich seit einiger Zeit bei Friedrich Muck-Lamberty auf. Mit
anderen Jungen zusammen soll er hier unentgeltlich und bei vegetarischer
Kost für ihn arbeiten. Auf ihre Briefe antwortet er nicht. "Durch
die fortgesetzte Hypnose, die Muck-Lamberty auf meinen Sohn ausübt,
sind seine Nerven vollständig zerrüttet und bitte ich sie, den
Fall einmal näher zu untersuchen, zumal ich gehört habe, dass
Muck-Lamberty dem Pornograph 175 angehört." - Die Befürchtungen
der Mutter bestätigen sich nicht. Das Gegenteil war richtig. Muck gab der Jugendbewegung wichtige inhaltliche, organisatorische und künstlerische Impulse. Nur, Führer wollte er nie werden oder sein. Hitlers Anhänger misstrauen ihm. Muck-Lamberty ist
so lautet die zusammenfassende Einschätzung von Martin Schmidt, Kreisgeschäftsführer der NSDAP-Kreisleitung Naumburg am 25. September 1937.
attestiert ihn der NSDAP-Kreisleiter von Naumburg am 12. Oktober 1937,
Bei einer 1. Mai-Demonstration
fällt Muck-Lambertys (Betriebs-) Gefolgschaft durch scherzhafte Anspielung
auf den NSDAP-Kreisleiter unangenehm auf. Das zieht einen gewaltigen ideologischen
Wirbel nach sich. Ausserdem soll Muck, so erzählt man es noch heute
in der Stadt, einen Prozess gegen die Nationalsozialisten gewonnen haben,
was leider nicht verifiziert werden konnte.
Er lädt Arthur Dietrich in seine Werkstatt ein, um die Vorbehalte zu seiner Person abzubauen. Aber das gelang nicht. Noch 1928 bezichtigt ihn die Nordbayerische Zeitung "schwerer Verbrechen" gegen die Jugend. Dabei war ML im Kern völkisch-national Gesinnt und passte eigentlich in das politische Kernmilieu von Naumburg, ja wenn, wenn es nicht vom Kreis um Georg Schiele dominiert und geprägt würde. Dieser war ihm viel zu blasiert, zu wenig alternativ. Umgekehrt erhielt er von ihnen auch keine Unterstützung. Über das politische Auftreten von Muck in der Öffentlichkeit heisst es 1937:
Tatsächlich waren seine politischen Gedanken nicht immer leicht nachzuvollziehen, man musste sie erst verstehen lernen. Wer dazu, aus welchen Gründen auch immer, nicht bereit war, empfand manches abrupt oder sonderlich. Hierüber reflektiert er im Brief vom 23. Mai 1930 aus Naumburg an Max Schulze-Sölde in Haubinda (Thüringen): "Ich habe ja nie spekuliert verstanden zu werden. Ich bin auch ohne meine Freunde meine Wege gegangen, ob sie den Daumen hielten oder nicht." Schwierigkeiten bereiten sein Faibele für das Deutschnationale und Völkische mit ganz eigener Dignität sowie die Idee der Volksgemeinschaft. Bekanntlich führt von hier ein breiter Weg zur Ideologie des Nationalsozialismus. Muck beschreitet diesen Weg nicht. Davor bewahrten ihn aber nicht Hinweis- oder Warnschilder. Vielmehr war es sein anarchistisches Wesen kombiniert mit unbändiger Selbstbehauptung, dass ihm eine natürliche Widerspenstigkeit gab. Er war eigensinnig, lag quer zu allen politischen Organisationserfordernissen. Hans-Dieter Speck (Weissenfels) bemerkt 1995 treffend:
Das passte den Nationalsozialisten nicht. So machte er sich bei den Führungskadern der Stadt öfters unbeliebt. Parteiorganisationen stand er aus prinzipiellen Erwägungen reserviert bis ablehnend gegenüber. Schon deshalb kann er den Schritt zur militärisch organisierten NSDAP nicht tun. Aber auch inhaltlich ganz anders ausgerichteten politischen Parteien und Organisationen will und kann er sich nicht unterordnen. Damit sind Schwierigkeiten vorprogrammiert. Bürgermeister Roloff (12.9.1935) konstatierte:
Nicht selten liegt er mit den Behörden quer. Ich schrieb einmal einem Präsident eines Arbeitsamtes, erzählt er in Jugendbewegung, Handwerk und Volksfest (10) mit, der mir Vorschriften in meinem Betrieb machen wollte, ich sei in meinem Reiche selbst Präsident.
Ich habe viel zu tun. nach oben Weihnachten 1945 übermittelt Friedrich Muck-Lamberty an Enno Narten (1899-1973) in Hannover:
Aus Gasmasken entstehen Haushaltsdosen, aus Kaffeesieben Baumschmuck, aus Munikisten Wagen für Kinder, aus Maschinengewehrfedern Ausklopfer, aus Drahtstücken Wagendeichselführungen, aus Gasmaskenspanner Haken für Kleider. Später fertigen die Friedrich Muck-Lamberty Werkstätten wieder etwas vom klassischen Repertoire des Holzkunsthandwerkes. 1949/50 steht die Firma noch im Adressbuch der Stadt Naumburg, Die Familie wohnte längst im Freien Blick 22 (in Naumburg). Bald übersiedelt Muck-Lamberty nach Königswinter, schließlich nach Oberlahr in den Westerwald. Hans-Dieter Speck (1995) nennt hierfür das Jahr 1951. "Er floh", heisst es weiter, "direkt von der Leipziger Messe in den Westen." Aber die Geschichte ist nicht ganz klar, da für das Jahr der Flucht unterschiedliche Angaben vorliegen. Rudolf Wiemer nennt das Jahr 1949. Leider waren dazu keine aussagekräftigen Dokumente zu finden. Aber einen wichtigen Hinweis gab sein Sohn Rüster im Jahr 2008. Er sagt, an seiner Haltung zu der sowjetischen Besatzungsmacht lag es nicht. Zu dieser hatte sein Vater persönlich ein unbedingt aufgeschlossenes und freundliches Verhältnis. Nach Berichten seines Vaters waren es Naumburger Intriganten und Neider, die hier am Werke waren. Möglicherweise, füge ich hinzu, vermittelt durch eine mechanistische Auffassung zur Schaffung sozialistischer Produktionsverhältnisse. Nach dem Wegzug erhält laut Industrie und Handelskammer von Sachsen-Anhalt am 5. Juni 1950 Max Melzer die Treuhandschaft über die Firma. Am 4. April 1952 händigt das Amtsgericht von Naumburg Karl Teller (Naumburg, Marxstraße 9) die Bestallungsurkunde als Treuhänder der Firma Lamb. Muck, Handwerkstätten vom Rat des Kreises Weißenfels aus. Nach seinem Weggang - oder Flucht ? - von Naumburg zeichnet man ganz kleine ideologische Karos. Ein Muck-Lamberty passt da nicht hinein. Dies prägt nun das Verhältnis der Stadt Naumburg zu ihm. Der Lebensreformer, Wanderprophet, Drechsler und Unternehmer, der nie ein Feind der Arbeiterklasse war, wohl aber mit den Nationalsozialisten haderte, fällt in Vergessenheit. Friedrich Muck-Lamberty stirbt am 7. Januar 1984 in Oberlahr bei Altenkirchen.
"Ich frage mich wiederholt", überlegt Lisa Tetzner 1923 (48), "wo Mucks Bedeutung liegt. Ich sehe seine Wirkung aufs Volk. Ich sehe ihn in Gesprächen mit ernsthaften Menschen. In fast jeder Stadt wurden uns die Kirchen geöffnet. Ich höre immer wieder seine Busspredigten und den Streit der Meinungen. Wir sind in grosse Städte und kleine Dörfer gekommen. Es ist überall gleich. Es ist, als hätten alle Menschen nur darauf gewartet,
und von einem aus ihrer Mitte von Gott zu hören. Und ich sehe die Schar untereinander. Vielleicht ist sie
in ihrem So sein das Beglückendste,
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Autor: Detlef Belau |
Urfassung:
2005.
Überarbeitet: 2014. |