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Bad Kösen
1925
3468 Einwohner
2096 Evangelische
204 Katholiken
8 Dissidenten
61 Geburten
davon 2 Totgeburten
14 Trauungen
287 Schüler der Stadtschule
mit einem Rektor,
Konrektor und 7 Lehrkräften
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Lutherkirche
zu Bad Kösen (2006)
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Pfarrer
Lorenz Bertheau engagiert sich für das Christentum
Durch
den Kirchenkampf war eine
schwierige Lage entstanden. Ganz besonders die Forderungen der Deutschen
Christen nach Übernahme des Arierparagrafen für die Reichskirche
und nach Verwerfung des als jüdisch angesehenen Alten Testaments
führen im November 1933 zu Massenaustritten. Pfarrer
Lorenz Bertheau aus Bad Kösen
charakterisiert die Lage Pfingsten 1934 wie folgt:
Kann man sich
noch in unserer Kirche freuen? Ist der Kampf um die zum Teil sehr scharf
geführten Auseinandersetzungen in der Kirche ein Zeichen ihrer
Schwäche, vielleicht sogar ihres Verfalls? Viele denken so und
wenden sich von der streitenden Kirche ab. (Zitiert nach Bertheau 1990)
Willhelm Frick, Minister
des Inneren, verbietet am 9. März die Verlesung der Kanzelabkündigung
der Bekennenden Kirche (BK) der Altpreußischen Union vom 5. März
1935. Im Wort der Bekenntnissynode der Evangelischen
Kirche der altpreußischen Union an die Gemeinden vom 4. / 5.
März 1935 heißt es:
"Wer Blut,
Rasse und Volkstum an die Stelle Gottes zum Schöpfer und Herrn
der staatlichen Autorität macht, untergräbt den Staat".
Am 16. März
ergeht die Weisung an die Pfarrer, daß sie sich schriftlich distanzieren
sollen. Pfarrer Lorenz Bertheau aus Bad Kösen weigert sich und wird
wegen staatsfeindlicher Haltung in Schutzhaft genommen. Dass er sich durch
seine Weigerung gegen den Staat stellt, wird den Kirchbesuchern nicht
mitgeteilt. (Vgl. Moehring 17.3.1935b)
Lorenz Bertheau (1886-1968)
entstammt
einer Hugenottenfamilie. Am 5. Januar 1886 wird er in Hamburg
als Sohn des Pastors an der dortigen St. Michaeliskirche geboren.
Sein Studium der Theologie führt ihn nach Halle und Tübingen.
Nach dem Vikariat in Frankfurt an der Oder und in Posen erhält
er am 19. November 1911 das Ordinariat für die St.-Pauli-Kirche
in Posen. Seine nächsten Stationen als Gemeindepfarrer sind
Schröttersdorf, ab 1913 Bromberg und dann 1922 Wallstein.
Er ist mit
Elisabeth Charlotte Staemmler verheiratet.
Es folgt eine
verhältnismäßig kurze Tätigkeit als Mitarbeiter
der Berliner Missionsgesellschaft.
Schließlich
trägt man ihm am 10. Juli 1925 die Pfarrstelle in Bad
Kösen an. Pfarrer Johannes Diederichs war am 1. Juli
1925 in den Ruhestand getreten. Er hatte seit dem 18. September
1892 die Gemeinde geleitet. Die
Zeitung berichtet über Einführung von Lorenz Bertheau
in sein Amt als Pfarrer. (Anmerkung)
Die Kösener
machen es ihm am Anfang nicht leicht. Sie sammeln sechzig Unterschriften,
um seine Berufung als Pfarrer in der Kurstadt an der Saale zu
verhindern.
Man
vermutete offenbar, berichtet er später über diese
Zeit, dass ich aus Polen komme und nicht richtig deutsch
sprechen konnte. Auch seien die Kosten des Umzugs für die
Gemeinde nicht zu tragen. (Ebenda) Doch es dauert nicht
lange, da sind seine häufig stattfindenden Gemeindeabende
sehr gut besucht. Das gab es auch noch, berichtet
ein Zeitzeuge, dass Pastor Bertheau in öffentlichen
Abendgesprächen die Weltanschauung des Nationalsozialismus
kritisierte. Er beschimpft sie nicht, sondern stellt sie auf der
Suche nach Wahrheit dem christlichen Welt- und Menschenbild gegenüber.
(Preuß 38)
Seit September
1933 gehört er dem Pfarrernotbund (PNB) und der Bekennenden
Kirche (BK) an. Ab 20. April 1934 fungiert er als Vorsitzender
des Bezirksbruderrates von Naumburg. Außerdem ist er Mitglied
des erweiterten Provinzialbruderrates der Kirchenprovinz Sachsen.
Pfarrer Bertheau
war also gegen die Deutschen Christen. Zwar hatte
sich durch Propaganda von Naumburg aus hier [in Bad Kösen]
auch eine Gruppe der Deutschen Christen gebildet,
sie löste sich aber bald wieder auf, der Gemeindekirchenrat
sagte sich am 23.11.1934 los von der offiziellen deutsch-christlichen
Kirchenleitung (unter dem Naumburger Superintendenten Wilhelm
Moehring) und unterstellt sich der Leitung des Bruderrates der
Bekennenden Kirche, dessen Präsens der spätere erste
provinzsächsische Bischof und Magdeburger Domprediger in
der Nachkriegszeit Ludolf Müller war, der in der NS-Ära
zweimal inhaftiert wurde. (Zitiert nach Bertheau 1990)
Der geistliche
Inspektor von Schulpforta war, erinnert sich Heinrich Wilhelm
Preuß,
ein
fruchtloser und klar denkender Mann. Sonntags fuhr er in der
Frühe in einer möglichst unverdeckten Kutsche vom
Städtchen nach Schulpforta.
Alle kamen sie zum Gottesdienst
nicht nur dem Gebot entsprechend, sondern weil es ihnen
der predigende Mann angetan hatte. Sie wussten nicht, daß
er der Bekennenden Kirche angehörte. Aber er selbst, Pfarrer
Bertheau, war ein Bekenntnis zu Gott und zu Christus. Er war
ein Gegengift da gegen den reißen den Strom der Zeit.
(Preuß 35)
Am 1. Februar
1962 tritt er in den Ruhestand. Am 6. Januar 1968 erlöst
ihn Gott in seiner großen Barmherzigkeit von seinen
Leiden und seinen Altersbeschwerden.
(Bertheau
1968)
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Mit der Verhaftung
von Bertheau hätte die Predigt am Heldengedenktag (17. März
1935) in der Lutherkriche Bad Kösen ausfallen müssen. Aber es
springt Superintendent Moehring aus Naumburg (Saale) ein. Im
Lagebericht der Staatspolizeistelle Halle für März 1935 ist
dazu festgehalten:
"Der Superintendent
Moehring [richtig Moering] in Naumburg hat in seiner Vernehmung vor
dem NSDAP-Kreisleiter wörtlich gesagt: "Ich habe mich in meinen
Ausführungen (bei der Totengedenkstagspredigt) für den verhafteten
Pfarrer Bertheau als deutschen Mann und Christen eingesetzt. Der Hauptteil
meiner Ansprache galt de Gefallenen und ihrer Treue. Ich habe mich dabei
für die Überzeugungstreue des Pfarrers Bertheau eingesetzt;
ich gebe zu, daß ich in meiner Rede und auch in meinem Gebet des
Führers mit keinem Wort gedacht habe. Ich habe vor Beginn des Vater
unsers den Pfarrer Bertheau und seine Angehörigen Fürbitte
empfohlen." (Stapo 1933h)
An dieses Ereignisse
erinnert sich Lorenz Bertheau aus Anlass einer Festansprache im Jahr 1960
etwas anders, wenn er sagt:
Es war Sonntag
Reminiszere 1935, damals Volkstrauertag. Vor dem Gottesdienst wurde
ich verhaftet, um mich an der Verlesung einer Kanzelabkündung der
Bekennenden Kirche zu hindern. Durch Ausklingeln wurde der Gottesdienst
auf Anordnung des Landrates abgesagt. Die Gemeinde hielt aber doch ihren
Gottesdienst. Ja, als eben vor Beginn der damalige Superintendent aus
Naumburg kam und den Gottesdienst halten wollte, verweigerte ihm der
Gemeinderat die Kanzel, und der Älteste Wenzely trat, wie verabredet,
an meine Stelle. (Zitiert nach Bertheau 1990)
Der Oberbürgermeister
als Ortspolizeibehörde Friedrich Uebelhoer schreibt an den Regierungspräsidenten
am 17. März 1935:
Das zweifellos
staatsfeindliche Auftreten des Moehring hat unter den Angehörigen
der Partei berechtigte Empörung hervorgerufen. Seine Rede hat nach
ihrer festen Überzeugung nicht beruhigend, sondern noch mehr aufpeitschend
gewirkt. Auf Grund dieser Vorkommnisse habe ich nach Rücksprache
mit der Staatspolizeidienststelle in Halle den Superintendenten Moehring
am 17.3.1935 in der 21. Stunde vorläufig festnehmen lassen und
bitte den Schutzhaftbefehl erlassen zu wollen. Moehring befindet sich
im hiesigen Polizeigefängnis. (Moehring 28.3.1935)
Moehring legt Haftbeschwerde
ein. Regierungsassessor Dr. Behr bearbeitet sie im Auftrag des Regierungspräsidenten
von Merseburg am 16. Mai 1935 und kommt zu dem Ergebnis:
Der Kreisleiter
der NSDAP Naumburg hat daher beim Oberbürgermeister in Naumburg
beantragt, den Beschwerdeführer in Schutzhaft zu nehmen. Der Oberbürgermeister
hat diesem Antrage im Einvernehmen mit der Staatspolizei in Halle a.
S. stattgegeben. [Kreisleiter und Oberbürgermeister sind hier ein
und dieselbe Person!] Erst am 18. März 1935 ging mir ein Bericht
des Oberbürgermeisters in Naumburg über diese Sache zu. Der
Berichterstatter [Dr. Behr] hat sich daraufhin sofort mit der Staatspolizeistelle
in Halle in Verbindung gesetzt. Diese Fühlungnahme ergab, dass
nach beiderseitiger Auffassung der Tatbestand für die Verhängung
der Schutzhaft nicht ausreicht. Daraufhin wurde sofort die Freilassung
des Beschwerdeführers verfügt. (Vgl. Moehring 18. März
1935)
Mit anderen Worten,
die Verhaftung des Dompredigers und Superintendenten wurde vom Regierungspräsidenten
und von der Stapo Halle als nicht hinreichend begründet angesehen.
Darauf Friedrich Uebelhoer am 10. Mai 1935:
Die Angaben des
Superintendenten Moehring in seinem Beschwerdeschreiben sind in wesentlichen
Punkten unrichtig.
Hier ging es vor allem
um die Frage, ob Pfarrer Moehring bei seiner Verhaftung erst die Anschuldigung
vorgehalten wurde und dann verhaftet wurde oder umgekehrt. Uebelhoer behauptet,
ihm zuerst die Anschuldigung vorgetragen zu haben. Als Zeuge benennt er
den uns gut bekannten Kriminalsekretär Paul Scholz.
Bei diesem
Sachverhalt finde ich es,
schreibt er weiter,
ein starkes
Stück, dass der Superintendent Moehring eine öffentliche Genugtuung
und meine disziplinarische Bestrafung verlangt. Ich kann nur sagen,
dass die Geduld weiter Kreise und auch meine Geduld durch das Verhalten
dieser Art Geistlicher auf eine harte Probe gestellt worden ist und
immer noch gestellt wird, und spreche die dringende Bitte aus, dass
diesen Herrschaften endlich gründlich das Handwerk gelegt wird.
(Moehring, 10. Mai 1935)
Der Oberbürgermeister
plädiert dafür, den Pfarrer und Superintendenten Moehring bei
nächster Gelegenheit wieder in Haft zu nehmen und einer noch schärferen
Strafe zuzuführen.
Aus den Kösener
Ereignissen vom Frühjahr 1935 ist herzuleiten, dass die Haltung der
Kirchenmitglieder gegenüber dem Nationalsozialismus keineswegs so
homogen waren, wie es beim ersten Hinsehen erscheint. Lorenz Bertheau
wendet sich gegen die Bewegung der Deutschen Christen, arbeitet im Pfarrer
Notbund und in der Bekennenden Kirche mit. Er liegt damit quer zur nationalsozialistischen
Kirchenpolitik und riskiert viel, wie das Schicksal von Pfarrer Albert
Mielke zeigt. Pfarrer Bertheaus persönlichen Kontakte zu
Pfarrer Martin Niemöller (1882-1984) machen neugierig und lassen
noch viel Interessantes erwarten.
Pfarrer Bertheau und
Superindent Moehring vertraten unterschiedliche Auffassungen zur Rolle
der Kirche im Nationalsozialismus. Trotzdem setzt sich Moehring im März
1935 für Bertheau ein, ja verhält, was beachtlich und der Aufmerksamkeit
nicht entgehen sollte, zu ihm solidarisch. Man kann offensichtlich politisch
unterschiedliche Auffassungen vertreten und Wege gehen und sich trotzdem
menschlich zueinander verhalten.
Anmerkung
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Eine öffentliche
Mitteilung aus dem Jahr 1925 zurück
zurück
Brückel, Hans:
Ein Pfarrerleben unter zwei Diktaturen. [Zu Lorenz Bertheau, Bad Kösen],
ohne Jahresangabe [wahrscheinlich nach 1990], Manuskript [Autor hier nicht
ausgewiesen.]
[Bertheau, Lorenz]
Trauerfeier in der Kirche zu Bad Kösen am Donnerstag, dem 11. Januar
1968, unveröffentlicht
[Stapo 1933h] Lagebericht
der Staatspolizeistelle Halle für März 1935. In: Die Lageberichte
der Geheimen Staatspolizei zur Provinz Sachsen 1933 bis 1936. Herausgegeben
von Hermann-J. Rupieper und Alexander Sperk, Band 2: Regierungsbezirk
Merseburg, mdv, Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale) 2004, Seite 321
[Moehring] Oberbürgermeister
als Ortspolizeibehörde der Stadt am 28. März 1935 an den Regierungspräsidenten
Magdeburg. Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Merseburg, Akte
Rep. C 48, Regierung Merseburg, I e (Polizeiregistratur) Nr.
1180 (Betreff: Betätigung konfessioneller Organisationen; Kanzelabkündigungen,
1935-1941)
[Moehring] Der Oberbürgermeister
der Stadt Naumburg, Urschriftlich an den Regierungspräsidenten in
Merseburg, Naumburg am 10. Mai 1935. Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt,
Merseburg, Akte Rep. C 48, Regierung Merseburg, I e (Polizeiregistratur)
Nr. 1180 (Betreff: Betätigung konfessioneller Organisationen; Kanzelabkündigungen,
1935-1941)
[Moehring] NSDAP-Ortsgruppe
Bad Kösen, Brief an die NSDAP-Kreisleitung Naumburg vom 17. März
1935, Betrifft: Meldung über Pfarrer Moehring, Naumburg. Landeshauptarchiv
Sachsen-Anhalt, Merseburg Akte Rep. C 48, Regierung Merseburg, I e
(Polizeiregistratur) Nr. 1180 (Betreff: Betätigung konfessioneller
Organisationen; Kanzelabkündigungen, 1935-1941)
[Moehring] Beschwerde
des Superintendenten Moehring in Naumburg. Regierungspräsident 18.
Mai 1935, Berichterstatter Regierungsassessor Dr. Behr. Landeshauptarchiv
Sachsen-Anhalt, Merseburg, Akte Rep. C 48, Regierung Merseburg, I e
(Polizeiregistratur) Nr. 1180 (Betreff: Betätigung konfessioneller
Organisationen; Kanzelabkündigungen, 1935-1941)
[Moehring] Der Reichs-
und Preußische Minister des Inneren an den Regierungsprä-sidenten
in Merseburg, Betrifft: Beschwerde des Superintendenten Moehring in Naumburg.
Berlin, den 29. Mai 1935. Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Merseburg,
Akte Rep. C 48, Regierung Merseburg, I e (Polizeiregistratur) Nr.
1180 (Betreff: Betätigung konfessioneller Organisationen; Kanzelabkündigungen,
1935-1941)
Preuß, Heinrich
Wilhelm: Kreuzgang. Christliches Verlagshaus, Stuttgart 1990
Besonderen Dank gilt
Professor Peter Maser aus Bad Kösen für die Unterstützung
der Arbeit im Mai 2007 mit Zeitdokumenten und einem Bild von Pfarrer Lorenz
Bertheau.
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